„Der außergewöhnliche Aspekt der Kampfkunst liegt in der Einfachheit. Der einfache Weg ist der richtige Weg. Je näher Sie dem Wahren kommen, desto weniger Verschwendung von Ausdruck erleben Sie.“ Bruce Lee
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„Komm, geh‘ mit angeln, sagte der Fischer zum Wurm.“ Bertolt Brecht
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„Seitdem ich aufgehört hatte, in Träumen zu leben, überfiel mich stets im Frühjahr ein unbeschreibliches Verlangen nach irgendetwas, dem ich keinen Namen geben konnte, dass aber wie eine Krankheit an mir zehrte.“ Wanda von Sacher-Masoch
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„Diesen Mittag war ich das erste Mal bei Goethe zu Tisch. Es waren außer ihm nur Frau von Goethe, Fräulein Ulrike und der kleine Walter gegenwärtig, und wir waren also bequem unter uns, Goethe zeigte sich ganz als Familienvater, er legte alle Gerichte vor, tranchierte gebratenes Geflügel, und zwar mit besonderem Geschick, und verfehlte auch nicht, mitunter einzuschenken.“ Johann Peter Eckermann
Im Gutshof Ludorf am 08.03. 2023 © Jamal Tuschick
Gebote der Not/Gebote der Tugend
Aurora R. erzählt in ihren Memoiren die Geschichte einer Deklassierung. Auroras Vater stammt aus einer bedeutenden Stuttgarter Familie. Seine Aufgaben als Militärbeamter erfüllt er so mustergültig, dass ihn sein Vorgesetzter, namentlich Prinz Alexander von Württemberg, seines Zeichens Kommandierender in Graz, privilegiert. Aurora schreibt, ihr Vater habe in dem Prinzen einen „warmen Gönner gefunden, der ihn seines militärischen Dienstes fast ganz enthob und eine Art Intendanten seines Hauses aus ihm machte“.
Reden wir von einem Kammerdiener? Jedenfalls ist die Bindung nicht so eng, dass nicht jeder seiner Wege gehen kann. Nach Alexanders Abberufung bleibt sein Lieblingsuntergebener in Graz. Bald kommt es zu einem Ehezerwürfnis in Auroras Elternhaus. Die Tochter ertappt ihren Vater beim Tête-à-Tête mit einer Sexarbeiterin und verliert ihre bedingungslose Zuneigung.
Die Klosterschülerin ekelt sich vor dem schwülen Interesse der Beichtväter an ihren Sünden. Sie durchschaut die lüsterne Grundierung des Absolutionsgefasels. Die Bigotterie würde sie weniger stören, wären die Geistlichen ansehnlicher. Aurora träumt von einem schönen Mann in der Rolle des Ablass-Matadors. Die Schülerin interessiert sich für den gesellschaftlich umtriebigen Leopold von Sacher-Masoch. Der Sohn des Grazer Polizeichefs besitzt auf den ersten Blick sämtliche Vorzüge eines Junggesellen. Ich rede von einer blendenden Herkunft, einem soliden Vermögen; von persönlichem Erfolg als akademischer und belletristischer Schriftsteller so wie von einer angenehmen Bugwelle.
Der Mann überstrahlt seine Umgebung.
Aurora begleitet den Abstieg ihrer Mutter als mittellos-geschiedener Frau. Das Elend schließt sie in die Arme. Aurora wird zur Beute für die leichte Muse von Klatsch und Trasch. Sie verfängt sich in den Fallstrecken einer vorgeblichen Freundin, die wir Frau F. nennen wollen. Frau F. war früher schön und hält sich immer noch dafür. Aurora versteht den Trugschluss. Sie ist längst alt genug, um zwischen Esprit und Verstand unterscheiden zu können. Manche Leute sind ungemein geistvoll, aber von jedem praktischen Nutzen ihrer Intelligenz abgeschnitten. Sunzi sagt:
„Man kann wissen, wie man siegt, ohne fähig zu sein, es zu tun.“
Frau F. bewegt sich auf einer schiefen Bahn. Sie applaudiert sich selbst und verlacht die Konventionen. Von Aurora lässt sie sich katholisch unterweisen. Sie geht zur Beichte, prahlt mit Sünden und lacht sich hinterher schlapp.
„Sie muss sich die Hüfte halten“, schreibt Aurora, wenig begeistert von dem Gebrauch, den Frau F. von einem vertrauensvollen Umgang mit der Arglosen macht. Endlich beginnt die Mutwillige eine Korrespondenz mit dem stadtbekannten Ritter Leopold. Da jener seine sexuellen Präferenzen literarisch preisgibt, weiß Frau F., wie sie ihn zu fassen kriegt. Sie macht den bekennenden Masochisten (noch gibt es das Wort nicht) heiß und amüsiert sich über dessen schriftlichen Sublimierungen. L. geht vollkommen ungeschützt vor. Er gibt sich eine Blöße nach der nächsten. Und doch ist es Frau F., die schließlich ihren Ruf in Gefahr sieht; während Aurora für kleines Geld Soldatenwäsche flickt. Die Nähmamsell versteht es indes, als herkunftssouveräne Inhaberin bürgerlicher Spielräume aufzutreten.
Solche Scharaden faszinieren mich. Die Heldinnen riskieren einiges beim Gesellschaftsspiel. Sie geben sich nicht leicht geschlagen. Ihre engen wirtschaftlichen Verhältnisse sind das eine. Das andere ist ihr Witz.
Als liebe Brieffreundin entspricht Frau F. so lange Leopolds Vorlieben, bis familiäre Umstände sie dazu nötigen, den Verkehr einzustellen. Zu ihrer Sicherheit verlangt sie die Briefe zurück. L. erklärt sich einverstanden unter der Bedingung, ihr das Bündel persönlich überreichen zu dürfen. Frau F. bittet Aurora, sie bei der heiklen Transaktion zu vertreten. Aurora lässt sich breitschlagen. L. rückt ihr sofort auf die Pelle. Er zieht seine Flamboyant-Show ab. Es gelingt ihm, die anonyme und vermummte Botin als Nachfolgerin von Frau F. zu engagieren.
„Ich ging ... darauf ein, doch nur, wenn er sich verpflichte, nie und auf keine Weise nach mir zu forschen, was er versprach. Er sagte, es wäre das Beste, wenn ich den Namen Wanda von Dunajew für die Adresse behalten würde.“
Fortan versorgt der Verehrer Aurora mit Druckerzeugnissen. Er verwöhnt die leidenschaftliche Leserin, die rasch zur qualifizierten Autorin avanciert. Sofort verschafft L. ihr Publikationsplätze.
„Ich schrieb eine größere Novelle. Sie … brachte mir dreißig Gulden ein. Ich hörte auf Handschuhe zu nähen, und begann einen kleinen Roman. In drei Monaten war er beendet und ich erhielt dafür dreihundert Gulden.“
Erste Vorbemerkung zum Fortgang der Ereignisse
„Das stimmte genau zu dem, was mir Sacher-Masoch selbst über sein gegenwärtiges Leben schrieb, und da er mich in seinen Briefen versicherte, dass die Korrespondenz mit mir ihm alles ersetze, was er bisher an Zerstreuungen gehabt habe, war ich nahe daran, mir einzubilden, dass ich Einfluss auf ihn gewonnen habe.“ Wanda von Sacher-Masoch
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„Ich kann es nicht leugnen… es gibt für den Mann nichts, das ihn mehr reizen könnte, als das Bild einer schönen, wollüstigen und grausamen Despotin, welche ihre Günstlinge übermütig und rücksichtslos nach Laune wechselt.“ Leopold von Sacher-Masoch, „Venus im Pelz“
Zweifellos führt L. Regie. Er formt Aurora nach seinen Vorstellungen. L. ist, und das wird oft übersehen, u.a. Ausstattungsfetischist. Interieur und Inszenierung sind wesentliche Elemente seines Begehrens. Er baut Tableaus auf auch in seinen Briefen, die man richtig als Anweisungen für eine künftige Routine versteht. L. weist Aurora die Rolle zu, in der allein sie reüssieren kann. Will sie sich gesellschaftlich verbessern, muss sie sich nach Leopolds Wünschen richten.
Auch als Gepeitschter verzichtet L. auf kein Standesvorrecht. Jederzeit kehrt er den galizischen Edelmann und Gutsherr mit einer Neigung zur Pedanterie hervor. L. besteht auf einen getakteten Alltag und befolgt lauter praktische Vorschriften im Spektrum zwischen Ertüchtigungsspaziergang, Gymnastik und Diät. Seinem Helden Severin räumt Leopold von Sacher-Masoch eine philosophische Verbrämung des Programms ein. S. lebt nicht nur nach der Uhr, sondern auch „nach dem Thermometer, Barometer, Aerometer, Hydrometer, Hippokrates, Hufeland, Plato, Kant, Knigge und Lord Chesterfield“.
Noch weiß Aurora wenig davon. Sie fühlt sich erhoben und gerettet. Gern würde sie L. ihre Dankbarkeit beweisen. Doch fürchtet sie, den Ritter mit ihrer Einfalt zu verärgern. Dazu bald mehr.