“I’m from the south side of Chicago. That tells you as much about me as you need to know.” Michelle Obama
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„Die Welt ist alt, aber die Zukunft entsteht aus der Vergangenheit.“ Mandingue-Sprichwort, zitiert nach Aya Cissoko
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“Bigness can be found in a little haiku, five syllables, seven syllables.” Gwendolyn Brooke
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„People (as Gwendolyn Brooke) who used their pens to roll over boulders so I might have a mountain of hope on which to stand.” Amanda Gorman
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„Ich war entschlossen, niemals meinen Frieden mit dem Ghetto zu machen, sondern lieber zur Hölle zu fahren, … als meinen Platz in diesem Staat zu akzeptieren.“ James Baldwin
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„Die Erfahrung des Schwarzen mit der weißen Welt kann in ihm keinen Respekt für die Normen wecken, nach denen die weiße Welt zu leben vorgibt.“ JB
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„Der Weißen Himmel ist der Schwarzen Hölle.“ JB
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Anlässlich des hundertsten Jahrestages der Sklavenbefreiung, der sich in einer Proklamation vom 1. Januar 1863 manifestiert, kontert Baldwin:
„Dieses Land feiert hundert Jahre Freiheit hundert Jahre zu früh.“
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„Dass die tiefste kulturelle Revolution durch den Einzug der Marginalisierten in die Repräsentation ausgelöst wurde - in der Kunst, der Malerei, der Literatur, überall in den modernen Künsten, in der Politik und im sozialen Leben im Allgemeinen. Unser Leben wurde durch den Kampf der Marginalisierten um Repräsentation verändert.“ Stuart Hall
Ergreifende Miniaturen
Die Chicagoer Winter sind hart. Irgendwo beschreibt Michelle Obama den Winterhimmel als eisengrauen Deckel, der über ihrer Geburtsstadt zuklappt und eine Frostdepression auslöst.
Maud Martha Brown betrachtet Chicago mit anderen Augen. Sie liebt den sich wandelnden Abendhimmel und Löwenzahn stellvertretend für schlichte Alltagsreize. In der Schönheit einfacher Dinge liegt ein Versprechen, das der Betrachterin eigene Schönheit in Aussicht stellt.
Gwendolyn Brooks, „Maud Marta”, Roman, Manesse, aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Ott, 155 Seiten, 22,-
Gwendolyn Brooks (1917 - 2000) erzählt die erstmals 1953 veröffentliche, in den 1940er Jahren angesiedelte Geschichte von Maud Martha in ergreifenden Miniaturen, die an Votivmalerei erinnern. Zum Zeitpunkt der Niederschrift verkörperte die Autorin den Stolz und die Emanzipationserwartungen vieler Schwarzer Amerikaner:innen. Drei Jahre zuvor war Brooks‘ - als erste Schwarze Dichterin - mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden.
Maud ist sieben, als die Leser:innen sie kennenlernen. Ihre Geschwister heißen Helen und Henry, die Eltern Belva und Abraham. Maud bewundert die „Anmut“ der fünfjährigen Schwester. Trifft sie ihre Eltern im Modus der Gattenvertraulichkeit, findet sie das schön. Mitunter erscheint der an sich „unerschrockene“ Vater „prahlerisch“.
Abraham Brown ist ein Mann im Verzug. Er trägt die Last einer Hypothek. Seine schönste Aussicht bietet ihm eine Kreditverlängerung.
In Gegenden mit überwiegend weißer Bevölkerung blüht Mauds Phantasie auf. Da entdeckt sie „Geheimnisvolles“. Das Panoptikum beginnt östlich des Bahnhofs Cottage Grove.
Brooks geht sparsam mit topografischen Marken um. Erwähnung findet der Grand Boulevard aka South Park.
Im Vertrauten und Behaglichen lauern „lauter Hass“ und „stumme Kälte“. Eben spendierte die Großmutter noch Eis und Popcorn. Jetzt ist sie tot. Jetzt ist Maud alt genug für Verehrer. Den weißen Charles streicht sie zügig von der Anwärterliste. Maud will nicht auf einem Diskurshochseil beispielhaft begehrt werden. Die Durchbrechung der Segregationsschranken liefert ihr kein affizierendes Motiv. Maud ekelt sich vor der Dankbarkeit, die sie empfindet, da Charles um sie wirbt.
„Als ob (sein) Kommen ein Geschenk wäre.“
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Nach einem Joe Jones & his Atomic Rebops-Konzert verlängert sich Mauds Enttäuschung in der Einsicht, dass sie sich niemals „vor tausend Augen so völlig zum Narren machen (möchte)“. Sie formuliert einen erweiterten Kunstbegriff im Geiste Beuys, und so auch im Sinn des aktivistischen Empowerments in den Spielarten der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
„Sie wollte der Welt einfach eine gute Maud Martha schenken. Das war ihr Angebot, das Stückchen Kunst, das von niemand anderem kommen konnte.“
Bald mehr.
Aus der Ankündigung
«In den Händen einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftstellerinnen erhebt sich das Alltägliche zu einem hinreißenden Porträt einer Schwarzen Frau.» Claudia Rankine
Die sensationelle Entdeckung aus der US-Moderne, erstmals auf Deutsch!
Maud Martha Brown wächst in den 1940ern in der South Side von Chicago auf. Inmitten von verfallenen Kneipen und überwucherten Gärten träumt sie von New York, von der großen Liebe, von einer heiteren Zukunft. Sie schwärmt für Löwenzahn, verliebt sich das erste Mal, dekoriert ihre erste eigene Küchenzeile, bekommt ein Kind. Auch ihr hellhäutigerer Mann hat Träume: vom «Foxy Cats Club», von anderen Frauen, vom Krieg. Und dann ist da als allgegenwärtiger Begleiter noch der Rassismus dieser Zeit, angesichts dessen es nicht immer leichtfällt, Gleichmut und Würde zu bewahren. In lakonischen Vignetten skizziert Gwendolyn Brooks den Alltag einer jungen Schwarzen Frau und erschafft dabei große Weltliteratur.
»Ich möchte, dass alle diesen vergessenen literarischen Schatz lesen!« Bernardine Evaristo (27. Juli 2022)
Zur Autorin
Gwendolyn Brooks gilt als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen der USA. Kurz nach ihrer Geburt zog sie mit ihren Eltern nach Chicago - in jene Stadt, der sie auch literarisch zeitlebens verbunden blieb. Als erste Schwarze Autorin erhielt sie 1950 den Pulitzer Preis für ihren Lyrikband «Annie Allen». 1976 wurde sie außerdem als erste Schwarze Autorin in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. «Maud Martha» aus dem Jahr 1953 ist ihr einziger Roman und erscheint erstmals auf Deutsch.