Im Alter von siebzig Jahren beschließt der 1990 in Gmund am Tegernsee geborene Walter Fabricius, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Die Hemingway-Lösung verwirft er, weil er seinen Kindern nicht zumuten möchte, das väterliche Hirn „von den Wänden zu kratzen“.
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Max Claro - Ein Mann mit vielen Talenten
Profund und kurzweilig
Die erste Spur legt der Autor mit dem Namen seines Helden. Walter Fabricius variiert im 2.0-Modus den guten alten Homo Faber, der bei Max Frisch Walter Faber heißt.
Max Claro, „Der Mann, der aus dem 3D-Drucker kam“, Heller Verlag, 204 Seiten, 16.90 Euro
Der als Bericht deklarierte Frisch-Faber-Roman spielt vor mehr als sechzig Jahren. Am Anfang gerät Walter als Passagier auf einem Propellermaschinenflug über der amerikanischen Ostküste in einen Blizzard. Frisch notiert die Jetset- und Jetlag-Modernitätszeichen im Kontext der noch exklusiven Aero-Mobilität. Siehe Max Frisch, „Homo faber. Ein Bericht“.
Für Max Claro wäre ein Sturmflug das reine Vergnügen. In einem Freifallfieberanfall könnte er unterdessen sogar auf die Idee kommen, auszusteigen. Siehe Max Claro - Freifallfieber. Walters mühsam zusammenbuchstabierte Gelassenheit würde bei Max im schieren Übermut eskalieren.
Der Romantitel verbindet den Namen des Helden Walter Faber mit dem Begriff des Homo Faber. Als Ingenieur verkörpert Faber den von Wahrscheinlichkeiten geleiteten Rationalisten. Ausgerechnet ihm widerfährt das Unwahrscheinliche.
Druckfrisch und topfit
Wir schreiben das Jahr 2060. Inzwischen züchten Spezialist:innen Nieren „aus zelleigenem Gewebe“. „Produziert (werden die Organe) in D-Bio-Druckern.“ Unter zunächst mysteriös erscheinenden Umständen landet Walter Fabricius im Bangkoker NewLife Institute. Professor Tan Xiang Tao erklärt, was Fabricius braucht: eine neue Niere.
„Ihre Niere ist leider kaputtgegangen.“
Mit großer Liebe zum Detail beschreibt Claro eine Zukunft, in der Fabricius, gestützt von einem Exoskelett, dass sich via „Brain-Computer-Interface mit seinem Gehirn abstimmt“, einer verbesserten Ausgabe seiner selbst entgegen trainiert. Fabricius hält sich für einen Unfallpatienten in der Rekonvaleszenzphase. Die wahre Ursache seiner Verfassung verhehlt ihm nicht allein das Gedächtnis.
Leidet Fabricius unter dissoziativer Amnesie?
Die Koryphäen vor Ort weigern sich, den Prozess des Begreifens zu beschleunigen. Fabricius soll sich seine Erinnerungen erarbeiten. Dabei hilft ihm die Ärztin Dr. Nitaya.
Vornamen dienen in Thailand der förmlichen Anrede.
Zu seiner eigenen Verwunderung verfügt Fabricius über exzellente Sinnesorgane. Er sieht wie ein Adler und vernimmt „Töne, die so tief sind, dass (außer ihm) nur thailändische Elefanten sie hören können“.
Dr. Nitaya unterstützt Fabricius bei seinen labyrinthischen Selbsterkundungen. Schließlich öffnet sich ein Tor zur Vergangenheit. Hinter dem Probanden liegt ein Leben als lange erfolgreicher, dann aber nach hinten durchgereichter Theaterschauspieler. Der Ex-Promi wollte sich das Leben nehmen. Im Darknet bestellte er eine Zyankalikapsel.
An dieser Stelle bleibt Fabricius erst einmal hängen. Biografisch kommt er nicht weiter. Räumlich schon. Er unternimmt einen illegalen Ausflug im „offenen Flügelhemd“, stabilisiert vom Exoskelett. Er bewegt sich ohne Orientierungsschwierigkeiten; geleitet von Google Maps. Fabricius sieht die Satellitendarstellungen sogar mit geschlossenen Augen. In einem Friseursalon registriert er zum ersten Mal sein aktuelles Aussehen. Der Spiegel zeigt eine um Jahrzehnte verjüngte Ausgabe.
Es folgen jede Menge Turbulenzen. Rückblenden wirken aufklärend. Sie informieren über die Vorgeschichte. Der gescannte Fabricius laboriert an einer bedenklichen Seelenlage. Sein Doktor Frankenstein aka Professor Tan Xiang Tao arbeitet an einer Auftautechnologie für die Gefühlskälte seines „Babys“. Zu den Schöpfungen des futuristischen Prometheus zählt ein „humanoides Emotions-Imitationsprogramm (namens) Kaonoyoyo“.
Kaum endet Fabricius‘ medizinisch-experimentelle Internierung, absolviert der Cyborg „druckfrisch und topfit“ eine thailändische Tour de Force; bevor er, einer Vorgabe seines Schöpfers entsprechend, am 3. Juli 2060 seine „Druckvorlage“ besucht. Die Begegnung zwischen Original und Nachdruck findet in München statt. Der bald siebzigjährige Walter F. empfängt sein Alter Ego in der Villa Fabricius.
Lesen Sie selbst, wie es weitergeht. Max Claro, ein Mensch mit vielen Talenten, kombiniert in seinem Mann aus dem Drucker Reiz- und Topthemen mit Unterhaltung. Sein narrativer Zugriff erfolgt auf einer literarturgeschichtlichen Kreuzung zwischen Jack London, B. Traven und Johannes Mario Simmel.
Aus der Ankündigung
München, 2059: Walter Fabricius, einst gefeierter, nun vergessener und verwitweter Schauspieler, ist entschlossen, sein Leben an seinem 70. Geburtstag im Kreise seiner Kinder zu beenden. Bei den Vorbereitungen für seinen Abgang erfährt er von einer fast unglaublichen Möglichkeit: Eine mysteriöse Schweizer Firma bietet an, eine jüngere, optimierte Version von sich selbst mithilfe eines 3D-Bio-Druckers in Asien zu produzieren. Walter zögert nicht lang. Er lässt sich in Zürich einscannen und um 35 Jahre verjüngt in Bangkok ausdrucken. Dabei geschieht ein verhängnisvoller Fehler, der alles auf den Kopf stellt und sein junges Alter Ego auf einen atemlosen Trip durch ein Thailand der Zukunft und zu Walter selbst führt.