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Bauernbaronat
Zum Gut des Barons Dietrich von Westkamm gehören „Felder und Wälder bis zum Horizont“. Die Gutsherrntochter Gerda wächst in einem amerikanisch oder australisch dimensionierten Großbetrieb auf; isoliert gelegen in den Weiten Westpreußens. Das drei Zugstunden von der Provinzkapitale Danzig entfernte, protestantische Kirchspiel Lapienen gibt dem Anwesen seinen Namen. Verwaltungstechnisch gehört es zu dem seit 1818 bestehenden Kreis Schlochau (Człuchów).
Claudia Ley, „Wo die Störche fliegen“, Roman, Heyne, 526 Seiten, 22,-
Die Autorin exponiert eine weitere Landschaftsmarke: den Wangeriner See (Jezioro Węgorzyno); benannt nach Wangerin (Węgorzyno). Das Städtchen prosperierte im Zuge eines Anschlusses an die Pommersche Centralbahn (im Jahr 1877) auf der Linie von Ruhnow nach Neustettin (Chojnice - Runowo Pomorskie).
„Zwischen Wangerin und Klaushagen (Kluczewo) in Pommern liegt ein See. Zu dem ging einst an einem Sonntagvormittag ein Mann, um da Fische zu angeln. Er suchte sich eine günstige Stelle im Schilf aus … , und wie er so dastand und ins Wasser sah, hörte er aus dem Seegrunde herauf ein wunderschönes Pfeifen. Das nahm seine ganzen Sinne gefangen und trieb ihn immer weiter in das Wasser hinein.“ Quelle
Die Provinz Westpreußen erstreckt sich beiderseits der Weichsel. Die deutsche Vormachtstellung an Ort und Stelle zählt seit der ersten Schlacht von Tannenberg anno 1410 zu den fragilen politischen Positionen. Hochmeister Ulrich von Jungingen und seine Ordensritter unterlagen einer Allianz unter der Ägide des polnischen Königs Władysław II. Jagiełło sowie des litauischen Großfürsten Vytautas. In der Neuzeit konkurrierten in diesem Raum zaristische Hegemonialbehauptungen mit dem westlich orientierten, sprich fortschrittlichen Komment der litauisch-polnischen Adelsrepublik. Stichwort Rzeczpospolita. Hier verliefen die Grenzen zwischen dem östlichen und dem westlichen Christentum. Von 1772 bis 1920 gehörte das Gebiet erst zum Königreich Preußen und dann zum deutschen Kaiserreich. Heute zählt es zur polnischen Woiwodschaft Pommern.
Heimlicher Gast
Der erste Handlungsaugenblick datiert auf das Jahr 1918. Gerdas bester Freund Thomas von Merwitz beschenkt die Baroness an ihrem neunten, wegen familiärer Trauerfälle offiziell unbeachteten Geburtstag mit einer Ausgabe von Andersens Märchen. Gerda muss den Gratulanten in ihr Elternhaus schmuggeln. Sie verköstigt den heimlichen Gast mit stibitztem Pfefferkuchen in einer kaum je genutzten Kammer des Gesindetrakts.
Die schöne Zwiesprache endet je, als ein Knecht der Familie Merwitz mit der Kunde vom Gefechtstod seines Arbeitgebers auf den Westkamm’schen Hof kommt.
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Gerda ist eine Nachzüglerin, mit vier beinah oder bereits erwachsenen Geschwistern, namentlich Adele, 15, Leonie, 17, Eduard, 20, und dem mit zweiundzwanzig gefallenen Crispin. Mit Gerda hatte keine Seele mehr gerechnet. In der mütterlichen Narration firmiert sie als „kleines Nachschrapsel“. Übrigens wuchs die baltisch-kurländische Mutter auf einem Gut auf, dass das erheiratete Bauernbaronat klein erscheinen lässt.
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Wer weiß, dass Tobago einst eine Kolonie des Herzogtums Kurland war. Der von Deutschen beherrschte, im heutigen Lettland gelegene Kleinstaat entstand als Lehen der Polnisch-Litauischen Rzeczpospolita. Er hatte nie mehr als 200.000 Einwohner:innen.
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„Lapienen … besaß den Zauber der alten, verlorenen Welt, den Klang seines Namens und die Tradition.“
Gerdas Vater kämpft mit allen Mitteln um die Rentabilität seines Gutes und Gestüts. Viel verspricht sich der aristokratische Landwirt und Edelpferdezüchter von Adeles Ehe mit dem zweitgeborenen Sohn eines Schweine- und Arbeitspferdezüchters. Die Heirat soll Lapienen sanieren. Doch da hat der Baron die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Gutsherrenherrlichkeit und Gesindeweihnacht
Die Autorin beschwört dem Untergang geweihte Verhältnisse. Die westpreußische Gutsherrenherrlichkeit und Gesindeweihnacht endet in den Machtverschiebungsprozessen von 1914 bis 1945. Durch den Zeitraum zieht sich eine Schleifspur.
Die Guts- Haus-, und Hofgemeinschaften lösen sich auf. Das Ressentiment übernimmt die Regie. Es ergeben sich neue Demarkationslinien nicht nur in der politischen Geografie. Deutsche „Ostelbier“ wettern gegen den „Polnischen Korridor“, der (von 1920 bis zum Überfall auf Polen 1939) Ostpreußen vom Deutschen Reich trennt. Ein deutscher Streifen firmiert als „Grenzmark Posen-Westpreußen“.
Während Adele nach den Spielregeln ihres Standes agiert und intrigiert, sucht Gerda die Freiheit des Gefühls: im Einklang mit ihrer unverbrüchlichen Liebe zu Thomas. Verlustempfindungen begleiten sie. Die Familie erwartet von ihr die Einwilligung in eine Vernunftehe mit Albrecht von Wolter. Der reiche Erbe schenkt Gerda einen wertvollen Trakehner-Hengst. Er will Gerda unbedingt. Ihre Ablehnung betrachtet er als Herausforderung. In einer überraschenden Volte verpuppt er sich erst als Verehrer und dann als Gatte von Gerdas Schwester Leonie. Gerda stellt er weiter unverhohlen nach. Der künftige Herr von Lapienen zeugt mit Leonie den Stammhalter der Dynastie.
Gerda ist eine zuverlässige Beobachterin der Veränderungen zum Schlechten. Die überkommene Ordnung verspricht keine Sicherheiten mehr. Die Teilung Westpreußens wird von den deutschen Grundbesitzer:innen als Unrecht empfunden. Antipolnische Ressentiments greifen um sich.
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1928 reist Gerda nach Breslau, um endlich ihr Eheversprechen einzulösen.
Aus der Ankündigung
Westpreußen, 1918: Umgeben von weiten Wiesen, Wäldern und Seen wächst Gerda von Westkamm auf Gut Lapienen auf. In den Sommern ihrer Kindheit träumt sie sich gemeinsam mit ihrem besten Freund Thomas in eine Welt aus Märchen und Geschichten. Zehn Jahre später wird aus der Kinderfreundschaft die große Liebe. Doch die Nachbarsfamilien trennt nicht nur der Stand, sondern auch die politische Gesinnung, denn Gerdas preußisch-protestantischer Vater möchte seine Tochter keinesfalls mit einem Polen verheiraten. Als die Situation eskaliert, flüchtet Gerda in die Freie Hansestadt Danzig, um als Schreibkraft bei einem Reeder ihr Glück auf anderen Wegen zu finden. Aber ihre Sehnsucht nach Thomas, die Wirren des Zweiten Weltkrieges und schließlich die Flucht aus Westpreußen ändern alles.
Zur Autorin
Claudia Ley ist das Pseudonym einer Spiegel-Bestsellerautorin mit deutsch-italienischen Wurzeln. In Italien hat sie auch studiert und erhält sich dort bis heute ihren zweiten Wohnsitz. Mit ihrer Familie lebt sie im brodelnden Herzen Londons, übt ihren Beruf als Lektorin und Übersetzerin immer noch mit Begeisterung aus und liebt Reisen, italienische Küche samt Rotwein und Juventus Turin.