Gerda hat ein klugscheißendes Kind ohne natürlichen Charme am Hals, und einen verschrobenen Mann, der vor seinem Vater buckelt. Sie hat einen Schwiegervater, der sie hartnäckig und vulgär begehrt, und eine Schwiegermutter, deren Leidensmiene sie kaum erträgt. Ihre eigenen Eltern sind unbrauchbar. Sie platzen aus allen Nähten der automatischen Anpassung und des guten Willens. Sie sind der Bundesrepublik fremd geblieben, als leblos-gescheite Ex-Persönlichkeiten.
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1987 in Darmstadt © Hilde Roth, mit freundlicher Genehmigung von Christel Burghard-Wörfel
Futuristischer Fernsehsessel
Gerda lagert in einem futuristischen Fernsehsessel. Ihre Vampirlippen saugen den Bildschirm an. Seit sie das Leben einer Leidenden führt, wird Kressins Mutter im Trainingsanzug häuslich. Sie hat sich an die Anzüge in den Krankenhausaufenthaltsräumen gewöhnt. Da sind sie in Farben wie zur schreienden Verhöhnung der hinfälligen Trägerinnen verbreitet. Sie verdrängen den Bademantel, der als Überwurf aus einer Patientin eine legendäre Erscheinung machen kann. Kaum zu übertreffen ist die Raucherin im Bademantel, wie sie den Katheter am Galgen zu einem mit Kippen gespickten Sandkübel am Eingang führt.
Barbara Dickmann erwähnt die Challenger-Katastrophe. Der NASA-Weltraumflug STS-51-L endete gleich nach dem Start. Die Raumfähre zerbrach in einem großartigen Bild. Ein vielfach gewundener Explosionsschweif mäanderte am Himmel. Das hatte die Welt noch nicht gesehen.
Was schiefgehen kann, geht schief. Murphys Gesetz
Im April befahl der amerikanische Präsident Reagan die Operation El Dorado Canyon. Die amerikanische Luftwaffe bombardierte Ziele in Libyen. Eine Serie restlichtverstärkter Bilder ersetzte dem Zuschauer die Realität und eröffnete die Ära der Wüstenkriege. Es folgte das nukleare Menetekel Tschernobyl.
Barbara Dickmann sieht aus wie eine Grüne, die sich in Mutlangen auf militärischem Sperrgebiet festnehmen lassen will. Kressin gibt Fernsehpersönlichkeiten wie Friedrich Nowottny und Alfred Biolek den Vorzug.
Was ist schlecht an Bausparverträgen? Wer den Pfennig nicht ehrt, soll keinen Taler kriegen. Die gehobene Mittelklasse vor der Haustür und ein gepflegtes Gebiss. Worum sonst könnte es gehen? Eine Bemerkung der Sprecherin führt Kressin gedankenflüchtig zu einem von echtem Geld, falschen Pässen und Waffen strotzenden Walddepot, wo RAF-Terroristinnen im Rahmen der Operation Eichhörnchen hochgenommen wurden. Ein Wahrnehmungsloop entsteht in Überblendungen von Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz mit Evelyn Hamann.
Endlich kommen Mutter und Sohn zu dem Vergnügen ihrer Lieblingsserie. Sie sind zusammengeschweißt in einem Einfühlungsvorgang, der nur im Hass gelingt. Der Hass hüllt die Ohnmacht ein. Kressin ist nicht das Wunder, dass Gott Gerda zur Entschädigung zu schicken versprochen hatte. Die Mutter hat ein klugscheißendes Kind ohne natürlichen Charme am Hals, und einen verschrobenen Mann, der vor seinem Vater buckelt. Sie hat einen Schwiegervater, der sie hartnäckig und vulgär begehrt, und eine Schwiegermutter, deren Leidensmiene sie kaum erträgt. Ihre eigenen Eltern sind unbrauchbar. Sie platzen aus allen Nähten der automatischen Anpassung und des guten Willens. Sie sind der Bundesrepublik fremd geblieben, als leblos-gescheite Ex-Persönlichkeiten.
Kressin findet seine Mutter kalt, fischig, tyrannisch und unzuverlässig.
Unzufriedenheit untergräbt Gerda. Vor der totalen Verknöcherung bewahrt sie die Aussicht auf noch mehr Geld. Dahin ist ihre Lust geflutscht.
„Der liebe Gott sieht alles außer Dallas“, verkündet der Vater unverdrossen. Dürftig erscheinen Kressin die väterlichen Schliche. Der Trick mit der Bedürfnislosigkeit zur Vermeidung von Enttäuschungen funktioniert nicht.
Der Vater hat die Macht abgegeben. Er erleidet das Schicksal eines Ausgesetzten in der eigenen Familie. Er träumt davon, dass sich sein Elend noch einmal auszahlt. Sein Sohn spielt mit der Fernbedienung. Im Augenblick ist sie nutzlos in Kressins Händen. Das Programm bestimmt die Mutter.
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Die Großmutter väterlicherseits siecht klaglos dahin, das herbeigesehnte Ende vollzieht sich im Halbdunkel einer Kammer voller Gerüche, die Kressin für giftig hält. Schließlich geht es nur noch darum: wach zu sein mit Schmerzen, die leicht unerträglich werden, oder unterzugehen im Medikamentenschlummer nah der Bewusstlosigkeit.
In ihren letzten Tagen blüht sie noch einmal auf. Noch einmal löst sich eine maskenhafte Starre und ihre Züge erinnern an die Farben eines dem rechtzeitigen Verzehr entgangenen Apfels. Als Kressin sich verabschiedet, nimmt die Großmutter ihm kaum wahr. Er entdeckt kein Zeichen von Rührung. Das kränkt ihn.
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Der Großvater legt seinem Greisengroll keine Zügel an. Er gönnt sich jeden Luxus. Bis zum Schluss erwartet er von den Nachkommenden in seinem Reich Unterwerfung und Einsicht in ihre Unzulänglichkeit. Beim Streuselkuchen nach der Beerdigung sagt der Vater: „Gut, dass er tot ist.“
Die Mutter sekundiert in ihrem neuen Kostüm. „Endlich.“ Sie nimmt zügig den Raum ein, den ihr Schwiegervater besetzt hielt. Sie strebt im Betrieb die Weltherrschaft an. Sie entmündigt und knechtet ihren Mann restlos. Widerspruch macht sie krank.
Widerstand ist undenkbar. Dem Jungen setzt sie zu. Wie kannst du nur. Nach alldem, was wir für dich getan haben. Sie genießt ihre Führungsrolle. Jeden Angriff wehrt sie mit einem Kollaps ab.
Der Vater verdampft im nächtlichen Akkord. Im Schmelzofen der Gießerei unterhält er sein eigenes Höllenfeuer. Er gießt Formen wie im Fieber. So dicht an der Glut wähnt er sich in Sicherheit.
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Großvaters Limousine fährt sich leicht mit Servolenkung. Kressin übt auf dem Betriebsgelände. Der Vierzehnjährige darf jederzeit die Autoschlüssel vom Brett nehmen und Runden auf dem Hof drehen. Er träumt von Beschleunigung und Geschwindigkeit bei Tempo Fünfundzwanzig. Im Radio verkündet ein Sprecher, dass Roberto Visentini den Giro d‘Italia gewonnen hat. Das Radio ist ein Blaupunkt mit extra schmaler Blende. Es empfängt Ultrakurzwelle.