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„Wegen schlechter Bedienung konnte nur wenig Bier getrunken werden.“ Eduard von Keyserling
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„In letzter Zeit (kommst du) einem augenblicklichen Bedürfniß Deines Geistes nach, die Kleinigkeiten des Lebens in ein[e] Art Erlebniß um zu componieren (Originalschreibweise).“ Eduard von Keyserling in einem Brief an Frank Wedekind
In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick
Der Schamane in der Soutane
Die einer markanten, europäisch verzweigten, in Brüssel ursprünglichen Patrizierdynastie entstammende, 1745 in Kassel an der Fulda zur Welt gekommene Anna Franca Steinbrecher setzt ihre bürgerliche Existenz aufs Spiel, um gemeinsam mit ihrer deklassiert geborenen, als Nennschwester in Annas Dunstkreis etablierten Geliebten Freda Stern ein überseeisches Abenteuer zu bestehen. In der Karibik (zumal auf Bonaire) verbindet sich das klandestine Paar zu einer Forscherinnen- und Künstlerinnenkommunion. Anna und Freda produzieren Hand in Hand mit fließenden Übergaben. Legt eine den Stift zur Seite, übernimmt die andere die Linienführung.
Abwechselnd füllen sie die Botanisiertrommel. Routiniert killen und konservieren sie Schmetterlinge. In den Kollaborationen verschmelzen Fächer und Genres. Flora und Fauna werden im Geist der aristotelischen Naturauffassung poetisiert.
Mitunter wachsen Früchte in Tempelruinen und aus (von Wurzeln) gesprengten Quadern, die einen Zivilisationsstandard andeuten, der in der Gegenwart von 1770 keine Referenz hat.
Anna und Freda begegnen Brigant:innen und Maroons. Die Gesetzlosen versorgen die Geächteten mit Waffen. Ihre Refugien sichern die Outlaws aller Couleur mit Fallen. Sie sind Meister:innen in der Nutzung natürlicher Hemmnisse. Hängebrücken setzen sie wie Zugbrücken ein.
Anna und Freda haben von den Freubeuter:innen nichts zu befürchten. Im Schutz der Wehrhaften präparieren sie Käfer und sezieren Frösche. Die Skalpelle stellt Gunter van Beuten zur Verfügung. Der alerte Arzt dient zwar der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) auf den Kleinen Antillen. Doch schlägt sein Herz für die Dschungelheld:innen.
Die VOC ergab sich im Zusammenschluss divers organisierter Kaufleute 1602 nach dem Vorbild der englischen East India Company. Das Bündnis kann hoheitliche Rechte geltend machen. Seine Repräsentanten nehmen für die Krone Land und Leute in Besitz, verteidigen das Zusammengeraffte und spielen sich als Gerichtsherren auf.
Die Allianz versorgt ihre Leute gut; Anna macht eine glänzende Partie, als sie Gunter in einer Urwaldkirche heiratet. Die von einem Seeräuber schwangere Freda wohnt der Hochzeit bereits mit sämtlichen Zeichen der guten Hoffnung bei. Fern der Heimat bringt sie einen Sohn zur Welt, den Freda, Anna und Gunter in einem heimlichen Pakt zum Besten des Kindes - noch auf Bonaire - mit einer erfolgversprechenden Startmarke versehen.
Um sein Fortkommen auf Erden nicht zu erschweren, lässt Freda zu, dass ihr einziger Sohn als Jakob von Beuten unter den Lebenden wandelt. Auf der Überfahrt in die Alte Welt stirbt Freda an einem mysteriösen Fieber. Anna folgt Gunter nach Edam. Da gibt sie Jakob als ihren leiblichen, von Gunter regulär empfangenen Sohn aus. Die Leute wundern sich. Sie tratschen. Der untypische Edamer fällt nicht nur mit hellseherischen Fähigkeiten auf. Er verfügt über Gaben, wie man sie im europäischen Kulturkreis der Hexerei zurechnet. Tatsächlich versucht Jakobs leiblicher Vater, der sagenhafte Captain Cannonball, via Voodoo eine Fernverbindung aufrecht zu erhalten. Geprägt vom calvinistischen Geist in einer Spielart des niederländischen Provinzpuritanismus fehlt Jakob jede Referenz für den inneren Ansturm in Permanenz. Den karibischen Furor kanalisiert er in feuriger Christlichkeit. Seiner kometenhaften Wirkung erliegt bald eine Person, die als Mutter des nächsten Jakob von Beuten ihre Rolle im Schoss der Kernfamilie um Anna und Jakob Supersenior spielt.
Jakob reicht indes die unterkühlte Gläubigkeit der Protestant:innen nicht. Er setzt sich ins niedersächsisch-katholische Eichsfeld ab, konvertiert und rauscht diakonal auf zum katholischen Charismatiker. Schließlich erscheint Captain Cannonball in der Exklave und gibt dem Schamanen in der Soutane die richtige Peilung.
„In dir tanzt der Voodoobär, mein Junge. Den schwarzen Kittel der Weißen kannst du ausziehen. Der hilft dir nicht weiter.“
Zweihundert Jahre später
Ohne Kenntnis seiner illustren Ahnenreihe studiert Bruce von Beuten Ethnologie in Frankfurt am Main. Er hält sich für einen Hessen mit holländischen Vorfahren. Ethnologie ist eine Modewissenschaft und Schamanismus der heißeste Scheiß in Academia. Carlos Castaneda gilt als wegweisender Feldforscher. In der Luft liegt die Erwartung, dass sich Vorreiter:innen einer sakralen Praxis, die ihren Platz in der Gesellschaft verloren haben, mit trivialem Wahnsinn ankündigen. Die Anti-Psychiatriebewegung richtet ihren Sturm & Drang auf geschlossene Einrichtungen.
Ein Narrativ der Ethnologie ist die verkehrtherum auf einem Pferd reitende Prärieamerikanerin, der im prä-kolumbianischen Wilden Westen niemand ein Strick aus ihrer Sonderrolle drehte. Vielmehr glaubte man, so geht die Hörsaal-Legende, dass die Verkehrte in Wahrheit richtiger saß als Leute, die über die Ohren ihres Pferdes hinauspeilten. Bruce fühlt sich von solchen Schoten auf die richtige Weise angesprochen. Er taucht im Brack schwarzer Träume. Da entdeckt er Schlösser in Sümpfen und empfängt magische Botschaften. Dazu bald mehr.