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2023-07-13 10:39:44, Jamal

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„Er würde ihr damals nicht wie ein Teufel erschienen sein, wenn er ihr nicht, bei seiner ersten Erscheinung, wie ein Engel vorgekommen wäre.“ Heinrich von Kleist, „Die Marquise von O…“

Forcierte Unverwüstlichkeit

Lange glaubte Loni Mai Murrow die Tochter eines Selbstmörders zu sein.

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Loni Mai Murrow liebt ihre Arbeit als Zeichnerin in der ornithologischen Abteilung eines Museums. Ihr Dasein entspricht dem sprichwörtlichen Glück im Winkel. Ein Unfall ihrer an Demenz erkrankten Mutter Ruth erzwingt eine Unterbrechung angenehmer Routinen. Mit gemischten Gefühlen fährt Loni in ihre Geburtsstadt im Marschland von Florida. Ihr Bruder und dessen Frau haben Ruth in einem Seniorinnenstift untergebracht. Die resolut-biestige Tammy und der charmant-gleichgültige Phil lösen gerade den Hausstand der Entmündigten auf. Loni widerstrebt die Zugriffshandfestigkeit der Verwandten. Sie handeln aus guten Gründen und mit den besten Absichten. Loni sträubt sich gegen die Bigotterie. Sie findet immer neue Gründe, nicht gleich wieder abzureisen; obwohl ihr genau das immer wieder rabiat nahegelegt wird. Die Drohungen und Ratschläge stehen in einem Zusammenhang mit dem - lange zurückliegenden - Tod ihres Vaters.

Halsstarrig und hartnäckig untergräbt Loni den empathielosen Umgang mit Artefakten einer Existenz auf der Zielgeraden. Sie verteidigt die Interessen ihrer Mutter auf jeder Außenlinie. Doch in der Zweisamkeit mit Ruth wirken jene Vorbehalte nach, die das Verhältnis der Mutter zu ihrer heranwachsenden Tochter bestimmten.

Virginia Hartman, „Tochter des Marschlands“, Roman, aus dem Amerikanischen von Frauke Brodd, Heyne, 462 Seiten, 22,-

Ruth zeigte sich Loni reserviert, wenn nicht sogar unnahbar und beinah feindlich. In Aufzeichnungen der Mutter entdeckt Loni den Grund. In der Spanne zwischen Lonis und Phils Geburt verlor Ruth ein Kind. Sie verschwieg ihr Unglück.  

„Und da war ich, ein lästiges Ärgernis, ungeschickt und mit Zahnlücken, während sie um ein perfektes verstorbenes Mädchen trauerte.“

Trapper unserer Tage

Loni stabilisiert sich paddelnd und zeichnend. Von ihrem Vater, einem gleichermaßen passionierten und professionellen Bewahrer der Marsch und ihrer Idyllen, lernte sie die perfekte Kanuführung.

„Mit dem Paddel auf den Knien lasse ich das (Leihkanu) so nah wie möglich herangleiten und greife in Zeitlupe nach meinem Skizzenbuch.“

Ihre - mit einer Brise Genie gewürzte - Aufmerksamkeit gilt der filigranen Virtuosität eines Zwergsultanhuhns.

„Ich skizziere die hellblaue Kappe und den ovalen Körper und deute sein Schillern an.“ 

Ach so, fast hätte ich es vergessen. Den Bootsverleiher Adlai Brinkert begeistert das Wald- und Wiesenwissen sowie die Kanukompetenz einer als Städterin camouflierten Trapper-Tochter.

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Boyd Murrow war das Muster eines redlich-ruralen, konsequent anti-urbanen, bei alldem daseinsfrohen Rangers.

„Er hasste Tallahassee.“

Nichts deutete auf Selbstmordabsichten hin. Trotzdem glaubt Loni auch dann noch, dass ihr Vater sich umbrachte, als sie in den Annalen der Fischerei- und Jagd-Aufsicht auf folgende Notiz stößt:

„Officer Murrow ertrank während einer Bootspatrouille.“

Morgen mehr.

Aus der Ankündigung

Loni Mae Murrow liebt ihr geordnetes Leben in Washington, D.C., wo sie ihr Talent zum Beruf gemacht hat: Für ein Naturkundemuseum fertigt sie naturgetreue Zeichnungen von Vögeln an. Als ihre Mutter Ruth erkrankt, folgt sie nur widerwillig der Bitte ihres Bruders, in die Kleinstadt ihrer Kindheit im Marschland Floridas zu kommen. Denn inmitten der unberührten Landschaft lauern die Erinnerungen an Ruths Gefühlskälte und an den tragischen Tod ihres Vaters Boyd als Loni zwölf Jahre alt war. Dann findet sie einen Hinweis, der Boyds Bootsunfall in einem neuen Licht erscheinen lässt. Sie macht sich auf die Suche nach der Wahrheit. Und nach dem, was Familie, Liebe und Heimat für sie bedeuten. 

»Hartman debütiert mit einem raffinierten und rasanten Familiendrama.... [Ihre] lebendigen Naturbeschreibungen und detaillierten Ausführungen über Museumsarbeit, Botanik und Ornithologie zeugen von dem Talent dieser Autorin« Publishers Weekly (11. Juli 2022)

Zur Autorin

Virginia Hartman unterrichtet Creative Writing an der George Washington University in Washington, D.C. Ihre Erzählungen, in denen das Verhältnis des Menschen zur Natur eine tragende Rolle spielt, wurden für diverse Preise nominiert. »Tochter des Marschlands« ist ihr erster Roman.