Koexistenz und Identität - Wie geht gemeinsam?
Zwischen Topografie und Ethnologie: Igal Avidan ergründet Voraussetzungen für spannungsarme, beide Seiten befruchtende jüdisch-arabische Stadtgesellschaften in Israel.
*
Sehen Sie auch hier.
Hand in Hand - Zivilgesellschaftliches Engagement
„Bildung ist der Weg, die Welt zu verändern. Wir müssen Kinder dazu erziehen, sich zuerst den Frieden vorzustellen, um ihn später realisieren zu können.“
Das sagt Merav Ben-Nun. Die Bildungsexpertin stammt aus einer Familie, in der Bildung und Berufung ein Paar bilden. Ihr Vater leitet die 1913 von Arthur Biram gegründete Hebrew Reali School of Haifa. Im Buch heißt die Anstalt „Realschule“.
Igal Avidan, „und es wurde Licht! Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel“, Berenberg, 253 Seiten, 18,-
Der Autor befragt Ben-Nun im Schatten des Karmel. Er skizziert eine landschaftliche Idylle zur Arrondierung der Konfliktfelder. Ben-Nun studierte „Friedenspädagogik“ in New York. Die Elchtests mit der Realität kupierten den schieren Enthusiasmus der Debütantin kaum. Weit davon entfernt, sich demoralisieren zu lassen, gründete Ben-Nun 2012 in Haifa den ersten bilingualen Kindergarten im Rahmen des Vereins Yad be Yad.
„Seit 2015 ist Bildung ab dem dritten Lebensjahr kostenlos … das Projekt stärkt die Zivilgesellschaft.“
Es wirkt wie ein Damm gegen Gewaltwellen.
Erstaunliche Schnittmengenmuster
Rolly Rosen zählt Lichtblicke der Koexistenz auf. Die Anthropologin analysiert Szenarien, in denen „eine gemeinsame städtische Identität“ entsteht. Die Spindel der Gemeinschaftlichkeit dreht sich darum, Differenz und Diversität nicht automatisch mit Devianz und Delinquenz zu verkoppeln, sondern die Chancen verdichteter Unterschiedlichkeit herauszustreichen. Trotzdem erwartet Rosen weitere Eskalationen auch in ihrer Heimatstadt Haifa.
Die in Jaffa lebende Rakefet Lapid stammt aus einer jüdischen Familie, die vierzehn Jahre in einer ausschließlich arabischen Nachbarschaft gut zurechtkam. Erst seit der Netanjahu-Ära verliert das Miteinander seine Kraft. Eine Oase bleibt der 2008 von Mika Danny gegründete, gemischt jüdisch-muslimisch-christliche, in Istanbul mit dem Preis der International Hrant Dink Foundation 2016 ausgezeichnete Rana-Chor.
Aus der Ankündigung
Gute Nachrichten sind selten eine Meldung wert - auch nicht, wenn sie aus Israel kommen. Dabei gibt es sie, und sie sind nachzulesen in diesem Buch, das rechtzeitig zum 75. Jahrestag der Staatsgründung erscheint. Der israelische Journalist und Autor Igal Avidan berichtet, entgegen der üblichen Fernsehbilder, aus einer bewegten Gesellschaft, in der Juden und Araber längst ein Zusammenleben gefunden haben, das den Vorstellungen von ewigem Hass (von Politikern auf beiden Seiten gern geschürt) nicht entspricht. Eine friedliche und zugleich brüchige Co-Existenz auf dem Vulkan – davon erfährt man in diesen Reportagen aus dem Alltagsleben in Israel. Gewaltsame Übergriffe sind zwar an der Tagesordnung, gegenseitige Hilfe, Solidarität, Nachbar- und Freundschaft aber auch.
Zum Autor
Igal Avidan, 1962 in Tel Aviv geboren, hat in Israel Englische Literatur und Informatik, in Berlin Politikwissenschaft studiert. Seit 1990 arbeitet der Nahostexperte als freier Berichterstatter aus Berlin für israelische und deutsche Zeitungen und Hörfunksender. 2017 erschien sein Buch »Mod Helmy. Wie ein arabischer Arzt in Berlin Juden vor der Gestapo rettete« (dtv).