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2023-08-03 10:41:00, Jamal

Sakraler Schrott

„Antike Rituale zu verstehen, ist … ungefähr so, als wollte man als Taubstummer Klavierspielen lernen.“ 

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Die Griech:innen betrachteten ihre römischen Überwinder:innen mit kulturnationalistischem Hochmut. Die Usurpator:innen übernahmen die olympische Mythologie der Verlierer:innen und strichen sie altrömisch an.

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Schockwellen aus Staub und Asche

Religiöses Handeln war im antiken Alltag nichts „Überweltliches“. Die Gebrauchskultur gedieh in Gemeinschaften, die vom Ritus bestimmt wurden. Die Verkehrsformen waren keineswegs so klassisch wie sie in den neuzeitlichen Antike-Verherrlichungsnarrativen erscheinen, sondern archaisch.

„Der Ritus ist wie eine eigene Sprache, die alle Bereiche der Gesellschaft gliederte und deren Grammatik und Vokabular untrennbar mit dem verbunden sind, was sich in dieser Gesellschaft kommunizieren lässt.“

Reliquienmüll

Die Griechen betrachteten ihre römischen Überwinder mit kulturnationalistischem Hochmut. Die Usurpatoren übernahmen die olympische Mythologie der Verlierer und strichen sie altrömisch an. Das erläutert Gabriel Zuchtriegel in „Vom Zauber des Untergangs. Was Pompeji über uns erzählt“, Propyläen, 29,-

Bauchläden des Glaubens

Der Direktor des Archäologischen Parks Pompeji bemerkt bei den antiken Gottheiten Verheißungsversäumnisse. Ihre spirituellen Auslagen boten das überschaubare Angebot fliegender Händler:innen. Sie lockten kaum mit „Heilsversprechen“. Das Defizit habe dem Christentum Vorschub geleistet.

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Die vom Schlamm eines Vesuvausbruchs im Jahr 79 unserer Zeitrechnung wundersam konservierte Stadt Pompeji entwickelte sich aus einem Weiler, den auch der Bruch von Artefakten bezeugt. Zuchtriegel spricht von „23800 Tonscherben“, die in dem seit der Bronzezeit besiedelten Latium im Dunstkreis des inzwischen trockenliegenden Vulkankratersees Lago di Castiglione und in nächster Umgebung der italischen Stadt Gabii aufgelesen wurden. Sie stammen von Gefäßen, die bei Ritualen im lokalen Sanktuarium Verwendung fanden. Der sakrale Schrottplatz ergab sich aus der Regel, dass heilige Gegenstände im geweihten Bezirk bleiben mussten.

Zuchtriegel erklärt: Weil wir den Ritus-Kode der Prä-Pompejischen Bevölkerung nicht kennen, bleibt uns der einfachste Aufschluss verwehrt.

Aus der Ankündigung

Ein neuer Blick auf Pompeji und die befreiende Kraft der Kultur 

Garküchen, ein Sklavenzimmer, griechische Theater, Villen, Thermen und Tempel – die Ausgrabungen in Pompeji offenbaren eine Welt. Doch was hat sie mit uns zu tun? Gabriel Zuchtriegel, der neue Direktor des Weltkulturerbes, legt eindrucksvoll dar, dass verschüttete Altertümer, starre Ruinen und schweigende Bilder uns noch heute verändern können.  Fast täglich kommt Gabriel Zuchtriegel bei seiner Arbeit an der Kreuzung der zwei Hauptachsen Pompejis vorbei, steht da, wo am Morgen des 25. Oktober im Jahr 79 n. Chr. eine ganze Stadt unter Asche und Geröll versank. Wenn Zuchtriegel die Skulptur des im Schlaf überraschten Fischerjungen sieht, muss er an seinen Sohn denken, der sich genauso einrollt, um nicht zu frieren. Dass solche Momente wesentlich sind, um zu vermitteln, was die Antike mit uns zu tun hat, darum geht es in diesem Buch. Gabriel Zuchtriegel bringt uns anhand der archäologischen Entdeckungen vom 19. Jahrhundert bis heute neben Ausgrabungstechniken auch Fragestellungen näher, die mit dem Wandel der Gesellschaft und unserer Gegenwart verknüpft sind. Das alles verbindet er mit seinem Werdegang als Archäologe, der Pompeji nicht nur als Weltkulturerbe erhalten möchte, sondern sich dafür einsetzt, dass alle diesen Ort als den ihren begreifen.   »Ein kluges und auf zurückhaltende Weise persönliches Buch« FAS  »Liebeserklärung an die Archäologie« FAZ

Zum Autor

Gabriel Zuchtriegel, geboren 1981, studierte in Berlin und Rom Archäologie und griechische Literaturgeschichte. Nach seiner Promotion an der Universität Bonn erhielt er ein zweijähriges Forschungsstipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Süditalien. Doch daraus wurden mehr als zehn Jahre, in denen er in Italien forschte, lehrte und im Denkmalschutz arbeitete. Seit April 2021 ist er Direktor des Archäologischen Parks Pompeji.