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2023-08-08 08:24:25, Jamal

Rationaler Rausch

„Ein guter Kriminalroman ist mir lieber als mittelmäßige Lyrik.“ Bertolt Brecht

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„Die Aufführung meiner Stücke konnte wohl verboten werden, aber die Polizei kann nichts Neues schaffen, und wo wir (1933) … aufhörten, werden wir (nach dem Krieg) wieder weitermachen.“ BB in einem Interview mit Henry Marx.    

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Irgendwo sagt Strittmatter über Brecht, jener habe „den kommunistischen Ideen Theaterröcke angezogen und sie zu den suchenden westeuropäischen Intellektuellen in Marsch gesetzt“.

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„von nun an und für eine lange zeit wird es auf dieser welt keine sieger mehr geben, sondern nur noch besiegte.“ BB, „Fatzer“

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„Bedenke das Dunkel und die große Kälte./ In diesem Tale, das von Jammer schallt.“  BB, „Dreigroschenoper“

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Wolf Biermann erlebte seine Zeit als Jungspund am Berliner Ensemble in der unmittelbaren Post-Brechtphase als „rationalen Rausch“. Ruth Berlau nahm er als eine vom DDR-Theater-Doyen verbrauchte Person wahr. „Die alte Frau“ (war) knapp über fünfzig. Vor ihrem Wohnzimmerfenster stand eine von Brecht in die Lyrik gebrachte Pappel (auf dem Karlplatz). „Der große Lehrer“ hatte sich, so Biermann, von Berlau distanziert, als er zum Schreiben seiner Stücke keine Zuarbeiterin mehr brauchte, da er keine Stücke mehr schrieb. Nun versuchte Berlau - so ein bisschen brechtig - Biermann zu ihrem Adlatus zu machen.

Ungesunder Kauz

Brecht wächst in Augsburg auf. Die expressionistische Avantgarde lässt sich da einfach ignorieren. Der „Gymnasialstudent“ spielt Schach, lernt Schlachtenverläufe auswendig, zeichnet sich als Anführer aus und erkennt in Frank Wedekind ein Vorbild. Sein Biograf Stephen Parker vergleicht Brecht mit Bob Dylan. Er schildert den Knaben als ungesunden Kauz; besorgt um sein Herz; zur Wehleidigkeit tendierend.

Parker schildert einen paradoxen Charakter. Obwohl nicht angenehm, wirkt Brecht einnehmend. In Rollenspielen vertritt er den alten Fritz. Bei jeder Gelegenheit besteht er auf Erstrangigkeit. Trotz seines triumphalen Wesens zeigt er sich zur Freundschaft begabt. Er gewinnt in Augsburg Freunde fürs Leben.

Bertolt Brecht, „Unsere Hoffnung heute ist die Krise“, Interviews, herausgegeben von Noah Willumsen, Suhrkamp, 35,-

Brecht erscheint dem Publikum seiner Adoleszenz instabil auf eine robuste Weise. Der Künstler als junger Mann überragt sein Milieu in Zuständen eines Hinfälligen.

Die Agilitätsbehauptungen des Vaters werden widerlegt. Die offensiv fragile Mutter, der scheinstarke Vater und ein physisch poröser Sohn ergänzen sich in einer Neuauffassung des Brechtschen Herkunftsfamilienensembles. Parker zerlegt das Bild vom frühreif zotigen, vorsätzlich ungepflegten, wie durch die Kanalisation gezogen stinkenden, politisch aufgeweckten, dem Berlin der Weimarer Republik rabiat entgegenstrebenden Baal-Brecht. Der englische Germanist nimmt den Dramatiker aus dem politischen Rahmen und erklärt ihn mit seiner Anamnese. Häusliche Katastrophen bringen Brecht dahin, Distanz zu den ungehobelten Leidensäußerungen der Verwandtschaft und des Personals aufzubauen. Text ist ein Distanzierungsmittel.

„Ich kann nichts machen gegen meine Abneigungen.“ Brecht mit zwanzig

Im Herbst und Winter 1927 begegnet der Kritiker Hans Tasiemka einem schreiend vielseitig interessierten, nach Details verrückten Brecht. Der Dramatiker verkörpert sich in „Lederjacke und Ledermütze“ als Sportsmann. Er gibt den „drahtige(n) Leichtgewichtler“. Sogar das Schreiben bezeichnet er als Sport. Die „Kriegswissenschaft“ bezeichnet er als seine „Leidenschaft“. Die Bibel erklärt er zu seinem Lieblingsbuch.

Interview im Blaumann

Im Mai 1939 erscheint Brecht im Blaumann zu einem Interview in Stockholm. Der nicht identifizierte Gesprächspartner findet den Exilanten schmächtig. Das entspricht einer Standardfeststellung. Bei Brecht erschöpft sich das Markante im Gesicht. Seine Augen werden in der publizistischen Gebrauchsprosa als Genieausweise gedeutet. Vermutlich kursieren die Variationen zu Brechts besonderem Blick als Verlegenheitsformulierungen.

Sein erstes Interview als Emigrant in den Vereinigten Staaten gibt Brecht zwei Jahre nach seiner Ankunft in Kalifornien dem gebürtigen Berliner Henry Marx im März 1943. Das Aufmerksamkeitsleck bestätigt Brechts niederschmetternde US-Vorkriegserfahrungen. 

„Weder das New Yorker Theater noch das Publikum war für Brecht reif.“ Henry Marx

Aus der Ankündigung

»Unsere Hoffnung heute ist die Krise« Interviews 1926-1956

Bertolt Brecht besaß die Gabe, wie ein Zeitgenosse einmal bemerkte, in einem »Gespräch mit präzisen, drastischen Formulierungen« zu brillieren. Wie bekämpft man die Dummheit? Ist deutsche Kultur möglich? Gehört George Orwell an die Wand gestellt? Egal welche Fragen man an Brecht hat: In diesem Buch findet man seine überraschenden Antworten.  In 75 hier erstmals versammelten, größtenteils unbekannten Interviews, die sich über 15 Länder und eine ganze Karriere erstrecken, zeigt sich der große Klassiker der Moderne als wortmächtiger Medienkünstler. Sie rücken sein Werk nicht nur in ein neues Licht - sie bilden einen unkartierten Teil dieses Werkes selber.

Zum Autor

Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Von 1917 bis 1918 studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München Naturwissenschaften, Medizin und Literatur. Sein Studium musste er allerdings bereits im Jahr 1918 unterbrechen, da er in einem Augsburger Lazarett als Sanitätssoldat eingesetzt wurde. Bereits während seines Studiums begann Brecht Theaterstücke zu schreiben. Ab 1922 arbeitete er als Dramaturg an den Münchener Kammerspielen. Von 1924 bis 1926 war er Regisseur an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. 1933 verließ Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete über Prag, Wien und Zürich nach Dänemark, später nach Schweden, Finnland und in die USA. Neben Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. 1948 kehrte er aus dem Exil nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tod als Autor und Regisseur tätig war.