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2023-08-14 07:23:51, Jamal

Kurz zu Goethes erstem Faust-Wurf - in der frühen Fassung schimmern sagenhafte Vorlagen durch, die im protestantischen Widerstand gegen den Obskurantismus des 16. Jahrhunderts und in zeitgenössischer Nähe zu Luther entstanden sind - und sich von der Biografie jenes Johann Georg Faust ernähren, der alle Gründe des Himmels und der Erde mit Magie erforscht zu haben glaubte. Goethe stand unter dem Einfluss von Shakespeare, als er, dem „Sturm“ näher als der Klassik, die frühe Fassung schrieb. Darauf wurde hingewiesen, von Brecht erst, dann von Heiner Müller, der einem Shakespeare des 20. Jahrhunderts Horrorfilme zutraute, diese Formerzwingung wie im Blutrausch, und Faust so charakterisierte: „Da ist ein Mann, der fühlt sich alt und will gern jung sein.“

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„In jedem Augenblick tauchen wir in ein Feld undifferenzierter Materie ein, aus der unsere Sinne Informationsfetzen sammeln.“ Rick Rubin

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„Der Künstler … ist in einen kosmischen Zeitplan eingebunden.“ RR

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„Kunst bedeutet Konfrontation.“ RR

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„Ich glaube an den Konflikt, sonst glaube ich an gar nichts.“ Heiner Müller

Strategische Konzilianz

Nach zwölf Exiljahren ist Brecht in der konkreten Nachkriegszeit schlechter gestellt als viele Nazis. Zweifellos zermürben ihn die offensiven Diskriminierungen westlicher Provenienz. Ein seit den frühen 1930er Jahren sattsam bekannter Formalismus-Vorwurf erhöht den Druck aus der anderen Richtung. Den angehenden DDR-Staatsdramatiker erreicht ein sozialer Kostenvoranschlag, der sich gewaschen hat.

In einer Begegnung mit Walther Pollatschek und Max Pechstein, erklärt Brecht, dass er nicht begreifen könne, „wie (die Bühnenkünstler:innen) in dieser Elendswelt Deutschlands die Energie zum Gestalten aufbrächten“.

Bertolt Brecht, „Unsere Hoffnung heute ist die Krise“, Interviews, herausgegeben von Noah Willumsen, Suhrkamp, 35,-

Überdurchschnittlich großes Vertrauen setzt Brecht in den Kunsthistoriker, Journalisten und Soziologen Carl Linfert, einst ein Konversationspartner Walter Benjamins. Linfert klopft Brechts Œuvre nicht auf ideologische Hieb- und Stichfestigkeit ab. 

„Wir saßen im Hotelzimmer in Berlin, in der Nähe des Pariser Platzes, gegenüber die Fensterlöcher verbrannter Häuser.“  Carl Linfert über eine Begegnung mit Brecht am 22. April 1949

Bis zu seinem Tod bleibt Bertolt Brecht eine gefragte Person. Dies belegen nicht zuletzt jene - in einem Band versammelten - 91 Interviews, die der Dramatiker von 1926 bis 1956 gab. Das Zeitungsgespräch war eine junge journalistische Form, als Brecht 1926 von der „Literarischen Welt“ um eine publizistische Unterredung gebeten wurde. Zunächst sollte er dem Journalisten Frank Warschauer Rede und Antwort stand. Es kam anders. Warschauer sagte ab. Für ihn sprang - am 30. Juli 1926 - Bernard Guillemin ein.

Vor der Befragung probte Brecht in einem „hypothetischen Interview … die neue Technik“.

„Das Interview selbst: Neumodisch und rätselhaft bricht es als publizistische Zumutung in den Schriftstelleralltag hinein.“

Die Simulation mündete in einem „komödiantischen Schlagabtausch“. Brecht erwog, wie er an den Fragen vorbei, Pointen für das Publikum am besten platzierte. Er fürchtete eine - dem Genre geschuldete - Banalisierung seiner Thesen.

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„Was immer Brecht für Sätze und Wahrheiten aufstellt, er lässt sie auch von hinten sehen: er wird nicht dogmatisch“, attestiert Linfert, einschlägigen Vorwürfen beinah fürsorglich zuvorkommend.  

Brechts letzten Interviews gleichen Denkmalbesichtigungen, obwohl der Dramatiker bis zum Schluss in den kulturpolitischen Auseinandersetzungen unter Druck bleibt. Er zeigt sich Kritik gegenüber strategisch konziliant, deutet aber auch an, dass er sich und sein Werk von den Genoss:innen nicht immer ausreichend gewürdigt sieht; dies vor dem Hintergrund, dass er als der größte lebende Dramatiker kursiert, und Brecht mit diesem Pfund für die DDR wuchert.

In Brechts Todesjahr reist Jean-Pierre Chabrol zum IV. Schriftstellerkongress des Deutschen Schriftstellerverbands (9. bis 14. Januar 1956). In einer Vorbemerkung gesteht der französische Delegierte seine Ahnungslosigkeit, soweit es Brecht betrifft. Er kokettiert nicht damit. Nüchtern stellt Chabrol fest, was der Fall ist. In Frankreich sind Anna Seghers und Bertolt Brecht die bekanntesten deutschen Autor:innen. Chabrol, den eine Vergangenheit als Widerstandskämpfer adelt, beweist Redlichkeit, wenn er zugibt, nichts von Brecht zu kennen. Bei der ersten Begegnung fällt ihm auf, dass Brecht die gleiche Frisur trägt wie Marlon Brando. Morgen mehr.

Aus der Ankündigung

»Unsere Hoffnung heute ist die Krise« Interviews 1926-1956

Bertolt Brecht besaß die Gabe, wie ein Zeitgenosse einmal bemerkte, in einem »Gespräch mit präzisen, drastischen Formulierungen« zu brillieren. Wie bekämpft man die Dummheit? Ist deutsche Kultur möglich? Gehört George Orwell an die Wand gestellt? Egal welche Fragen man an Brecht hat: In diesem Buch findet man seine überraschenden Antworten.  In 75 hier erstmals versammelten, größtenteils unbekannten Interviews, die sich über 15 Länder und eine ganze Karriere erstrecken, zeigt sich der große Klassiker der Moderne als wortmächtiger Medienkünstler. Sie rücken sein Werk nicht nur in ein neues Licht - sie bilden einen unkartierten Teil dieses Werkes selber.

Zum Autor

Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Von 1917 bis 1918 studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München Naturwissenschaften, Medizin und Literatur. Sein Studium musste er allerdings bereits im Jahr 1918 unterbrechen, da er in einem Augsburger Lazarett als Sanitätssoldat eingesetzt wurde. Bereits während seines Studiums begann Brecht Theaterstücke zu schreiben. Ab 1922 arbeitete er als Dramaturg an den Münchener Kammerspielen. Von 1924 bis 1926 war er Regisseur an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. 1933 verließ Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete über Prag, Wien und Zürich nach Dänemark, später nach Schweden, Finnland und in die USA. Neben Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. 1948 kehrte er aus dem Exil nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tod als Autor und Regisseur tätig war.