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2023-08-18 08:46:59, Jamal

Unfruchtbare Gralshüterei

„Aber ich glaube, dass nirgends so wenig Theorie getrieben wird wie gerade bei uns im Berliner Ensemble, weder während der Proben noch während unserer Diskussionen, sondern bei uns wird einfach praktisch gearbeitet.“ Käthe Rülicke 

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„(Im Berliner Ensemble) herrscht … das Bemühen, vollständig natürlich zu sprechen, nicht mehr zu geben, als man hat, nicht den Eindruck zu erwecken, man habe mehr, als man hat, sondern eben in der natürlichsten und einfachsten Weise die Texte der Dichtungen zu gestalten.“ Bertolt Brecht im Gespräch mit Maximilian Scheer am 22. Dezember 1951; im Beisein von Käthe Rülicke, Wera geb. Skupin, verh. Küchenmeister, Peter_Palitzsch, Lothar Creutz und Egon Monk

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„Um mit der unfruchtbaren Gralshüterei und dem Rechthabertum in der Interpretation der Stanislawskischen Arbeitsweise in unseren Theaterschulen aufzuräumen und Platz zu machen für echtes Suchen, Wettbewerb der Ideen, Diskussion und Anleitung der jungen Künstler zu selbständigem Schaffen, müssten wir, denke ich, folgendes tun. Der spezifische Schauspielunterricht findet im Augenblick statt beim Szenenstudium. Die Lehrer haben dabei die Funktion eines Regisseurs. Ohne Übung und Fähigkeit in dieser Tätigkeit hilft kein noch so großes pädagogisches Talent.“ Brecht, „Schriften zum Theater“, Berlin u. Weimar 1964, Bd. VI., S. 203, Quelle

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„Die Eroberung der kulturellen Macht erfolgt vor der Übernahme der politischen Macht. Diese wird durch eine konzertierte Aktion intellektueller organischer Aufrufe erreicht. Sie infiltrieren jegliche Kommunikation, jede Ausdrucksform und die akademischen Medien.“ Antonio Gramsci

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„Ich halte es für eine Illusion, nach diesem Krieg von einem veränderten Gesellschaftszustand (in Deutschland) gegenüber 1933 zu sprechen.“ Bertolt Brecht 1947 

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„Das Leben der Menschen (erscheint) als Aufstand des Unterbewusstseins … gegen die sozialen und natürlichen Fesseln …“ Vito Pandolfi

Kaltschnäuziger Kunstbegriff

Gegen Hitler die Stimme erhoben zu haben, zwingt den Karl-May-Liebhaber, Erotomanen und Bohemien Bertolt Brecht zum marxistischen Glaubensbekenntnis. Zumindest behauptet das sein Biograf Stephan Parker. Ob Parkers Einschätzung die historische Wirklichkeit der 1930er Jahre trifft oder verfehlt: Was denken Sie? Ich finde es plausibel, dass ein politisch intuitiv urteilender Brecht sich nach Kräften radikalisiert und in der Klassenkampfhärte seinen kaltschnäuzigen Kunstbegriff gespiegelt sieht.

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Von April 1940 bis Mai 1941 lebt Brecht in Finnland. Wichtige Werke entstehen da. Siehe „Herr Puntila und sein Knecht Matti“, „Flüchtlingsgespräche“ und „Der Aufstieg des Arturo Ui“. Der Journalist Jarno Pennanen porträtiert den Edelexilanten für ein sozialdemokratisches Periodikum. Pennanen trifft „einen Mann … voller angestauter Kraft“ in einem vom Christlichen Verein Junger Menschen betriebenen Hospiz in Helsinki. Brecht verkündet: „Ich kann nicht sein ohne Arbeit“.

Bertolt Brecht, „Unsere Hoffnung heute ist die Krise“, Interviews, herausgegeben von Noah Willumsen, Suhrkamp, 35,-

„Flüchtlingsgespräche“

„Der Pass“, so heißt es in einem fragmentarischen Ertrag des Brecht’schen Nachlasses, „ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“

„Man kann sagen, der Mensch ist nur der mechanische Halter eines Passes. Der Pass wird ihm in die Brusttasche gesteckt, wie die Aktienpakete in das Safe gesteckt werden, das an und für sich keinen Wert hat, aber Wertgegenstände enthält.“

Im amerikanischen Exil zeigt sich, „dass Brechts Dramen … eine Outsider-Angelegenheit bleiben (müssen), denn dort dient die Bühne ausschließlich der Unterhaltung und ist nicht wie in Europa auch eine geistige, kulturelle Institution.“ Das konstatieren John H. Winge und Kurt Hirschfeld in ihrem in „Die Tat“ am 15. November 1947 publizierten Beitrag mit dem Titel „Gespräch mit Bert Brecht“.

Winge erachtet Brecht als seinen Meister und dient ihm als „Brain Guard“. Brecht stellt fest, dass die Vereinigten Staaten ihren nichtkommerziell inklinierten Bühnentalenten keine Basis bieten.

„Auf Grund der wirtschaftlichen Gegebenheiten (ist) jede (artistische) Aktivität unmöglich“. 

Das in der Schweiz entstandene Interview wendet sich an anspruchsvoll-informierte Leser:innen. Während in älteren Gesprächen Brecht jedes Mal aufs Neue dem Publikum als bedeutende Persönlichkeit erklärt wird, setzen Winge und Hirschfeld Brechts Rang als bekannt voraus. Außerdem wirbt Brecht nicht für Projekte. Er argumentiert nicht strategisch. Offenbar wittert er im Nachkriegseuropa Morgenluft; zumal es wegen des McCarthyismus auch kein Zurück ins überseeische Exil gibt. Morgen mehr.

Aus der Ankündigung

»Unsere Hoffnung heute ist die Krise« Interviews 1926-1956

Bertolt Brecht besaß die Gabe, wie ein Zeitgenosse einmal bemerkte, in einem »Gespräch mit präzisen, drastischen Formulierungen« zu brillieren. Wie bekämpft man die Dummheit? Ist deutsche Kultur möglich? Gehört George Orwell an die Wand gestellt? Egal welche Fragen man an Brecht hat: In diesem Buch findet man seine überraschenden Antworten.  In 75 hier erstmals versammelten, größtenteils unbekannten Interviews, die sich über 15 Länder und eine ganze Karriere erstrecken, zeigt sich der große Klassiker der Moderne als wortmächtiger Medienkünstler. Sie rücken sein Werk nicht nur in ein neues Licht - sie bilden einen unkartierten Teil dieses Werkes selber.

Zum Autor

Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Von 1917 bis 1918 studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München Naturwissenschaften, Medizin und Literatur. Sein Studium musste er allerdings bereits im Jahr 1918 unterbrechen, da er in einem Augsburger Lazarett als Sanitätssoldat eingesetzt wurde. Bereits während seines Studiums begann Brecht Theaterstücke zu schreiben. Ab 1922 arbeitete er als Dramaturg an den Münchener Kammerspielen. Von 1924 bis 1926 war er Regisseur an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. 1933 verließ Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete über Prag, Wien und Zürich nach Dänemark, später nach Schweden, Finnland und in die USA. Neben Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. 1948 kehrte er aus dem Exil nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tod als Autor und Regisseur tätig war.