Heinz kreuzte die Arme wie ein Ringer. Er ließ keinen Zweifel daran zu, dass er mit sich im Reinen war.
„Ich war Offizier der Staatssicherheit.“
Die Sieger:innen der Geschichte hielt er für vorläufig, Heinz zitierte Fatzer: „Von nun an und für eine lange Zeit wird es auf dieser Welt keine Sieger mehr geben.“
Ich half mit Heiner Müller aus: „Das Scheitern, das den Siegern bevorsteht.“
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In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick
Greisenlamento
„Man hat mich abgetakelt“, erklärt Heinz Kalinowski. Der ehemalige Offizier im besonderen Einsatz (ab 1990 Hausmeister diverser Dienste) gibt gerade ohne Not seine Selbstständigkeit zugunsten organisierter Entmündigung in einem Seniorinnen- und Seniorenstift auf. Seine Entscheidung stößt auf die Kritik jener Tochter, die sich kümmert.
„Früher hattest du für niemanden Zeit“, hält Ljudmila, genannt Mila und benannt nach der Scharfschützin Ljudmila Michailowna Pawlitschenko, dem Greisenlamento entgegen.
Sie reagiert gereizt auf die onkelhafte Milde des Vaters, der sein Leben lang durchregiert hat. Es kommt Mila so vor, als wolle er sich davonstehlen.
Heinz verabschiedet sich von seiner vertrauten Umgebung. Er hat mit allem abgeschlossen. Bald wird er zum letzten Mal seine Wohnungstür ins Schloss fallen lassen. Sein Blick sucht nichts mehr. Die innere Registratur ist zwar noch nicht geschlossen, doch löst der Anblick vertrauter Dinge keinen sentimentalen Impuls mehr aus.
Der Mann hat fertig.
Trotzdem hält er sich gerade. Ungerührt vernichtet er ein Erinnerungssammelsurium. Er schreddert Post von Jahrzehnten, reißt und zerreißt Fotos aus Alben. Heinz ist sich selbst so fremd geworden, dass ihn mit den Memorabilien nichts mehr verbindet. Wie in Nebeln begegnet er seiner Tochter. Deren Geschwister haben gute Gründe, den Vater nicht zu besuchen. Ein Bruder lebt in Chile und hat die beste Ausrede. Die familiären Zerwürfnisse gehen Heinz nichts mehr an. Ist alles Schnee von gestern und kalter Kaffee. Milas Bemühungen erlebt Heinz als Verirrung. So als verrichte Mila ihre Liebesdienste nach Blind-Date-Spielregeln.
Die fürsorgliche Tochter vermisst eine Würdigung ihres Engagements seit zwanzig Jahren. Ihre kleinen Feststellungen implizieren große Vorwürfe. Das Indirekte triumphiert.
In dieser Konstellation wirkt Heinz wie ein Außenstehender, obwohl sich alles um ihn dreht.
Gespenstische Ratlosigkeit
Mila eskaliert schweigend am Herd. Sie macht Mitgebrachtes warm und muss sich eingestehen, dass sie sich bei sich nicht besser aufgehoben fühlen würde. Die so gut wie aufgegebenen vier Wände ihres Vaters dementieren förmlich, dass sie auch einmal Milas Zuhause begrenzten. In der Abstellkammer entdeckt sie Zeug aus ihrer Kindheit. In der hingerotzten Lagerung spricht sich extreme Lieblosigkeit aus. Mila bemerkt die Abwesenheit von Dingen. Dies und das und so auch die Pflanzen wurden bei Nachbarn abgegeben.
Wie in einer Szene von Wilhelm Genazino sitzen Vater und Tochter am Küchentisch; so vereint in gespenstischer Ratlosigkeit.