„Die Weißen lassen sich dazu herab, an uns reich zu werden und uns dafür Fußtritte zu geben.“ Klara Blum, „Der Hirte und die Weberin“
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„Ich sehne mich nach Kampf … Zhou En-lai hat Angst um mein Leben … Es sei ein Fehler, mich bei Partisaneneinsätzen zu verwenden. Partisanenaktionen können auch Analphabeten durchführen. Ich aber soll dem Volk mit meinen Talenten dienen.“ Klara Blum, „Der Hirte und die Weberin“
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„Wenn die beiden Herzen für immer vereint sind, warum müssen die zwei Personen zusammen bleiben - Tag für Tag, Nacht für Nacht?“ Qin Guan (1049 - 1100)
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„Den Reichen wälzt der Tod den ersten Stein auf die Brust, und die Armen befreit er vom letzten.“ Max Waldau
Kulturrevolutionäre Präliminarien
Der Romantitel spielt auf eine kosmisch dimensionierte, chinesisch-antike Legende an. Die verbotene Liebe zweier Sterne löst ein Drama auf der Milchstraße aus. In der irdischen Verkleinerung erscheinen die Weberin Zhinü als Repräsentantin der Vega aus dem Sternbild Leier, und der Kuhhirte Njulang als Verkörperung von Altair, dem hellsten Stern im Aquila-Ensemble.
„Wo die Europäer eine Leier sehen, glauben wir Chinesen eine Frau zu erblicken, die am Webstuhl sitzt. Und … auf der anderen Seite des Silberstroms (der Milchstraße) sehen wir einen Hirten, der seine Büffelkuh auf die Weide führt.“
Klara Blum, „Der Hirte und die Weberin“, Roman, mit einem Essay der Herausgeberin Julia Franck, Die Andere Bibliothek, 48,-
Dilettantischer Unfug
Nju-Lang heißt auch der Romanheld. Er behandelt das Titelthema theatralisch. Der behütet aufgewachsene Kaufmannssohn träumt von einem aufrührerischen Volkstheater. In seiner Person vereinen sich kulturrevolutionärer Schwung und pädagogischer Eros. Nju-Lang inszeniert an Laien- und Schultheatern. Er unterrichtet in einer von ihm gegründeten Abendschule. Zu seinen Schüler:innen gehören Kulis, deren Alphabetisierung politische Schockwellen in alle Richtungen aussendet.
Nju-Lang verweigert sich der traditionellen Darstellungsweise. Seinen sowjet-sozialistischer Realismus halten viele Kolleg:innen für „dilettantischen Unfug“.
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Schauplatz der Ouvertüre ist Shanghai in den 1930er Jahre. Autonome Territorien imperialer Mächte geben der in kaum hundert Jahren vom Fischernest zum Paris des Ostens aufgestiegenen Metropole ein einzigartiges Gepräge. Die ausländischen Konzessionsgebietsfürsten spielen nach ihren eigenen Regeln. Vorreiter:innen der Usurpation sind die Japan:innen, die seit dem chinesisch-japanischen Krieg von 1894/95 (Stichwort Vertrag von Shimonoseki) vor Ort koloniale Ziele verfolgen.
Tschang Nju-Lang entwickelt seine Ideen nicht zuletzt bei Spaziergängen auf einer Promenade am Huangpu Jiang. Der Stürmer und Dränger zählt zur Elite eines zerrissenen Landes. Die äußeren Umstände der Akteure seiner Klasse sind ebenso komfortabel wie demütigend.
„Die Weißen lassen sich dazu herab, an uns reich zu werden und uns dafür Fußtritte zu geben“, lässt ihn seine Schöpferin sagen. In den Verwerfungen des Zwanzigsten Jahrhunderts führte Klara Blum (1904 - 1971) eine exemplarische Existenz. Die in Czernowitz, damals Österreich-Ungarn, geborene und im chinesischen Guangzhou gestorbene Schriftstellerin wuchs unter den Vorzeichen der k. u. k.-Doppelmonarchie herrschaftlich auf. Angeregt von Alfred Adler, studierte sie in Wien Psychologie. 1929 ging sie nach Palästina, konnte sich zum Bleiben jedoch nicht entschließen.
Ihr frauenemanzipatorischer Fokus bestimmt die Romanperspektive auf der ganzen Linie. In der Gegenwart des Handlungsauftakts können Chinesinnen erst seit fünf Jahren öffentlich auftreten. Dazu morgen mehr.
Aus der Ankündigung
Der einzige vollendete Roman einer der großen deutsch-jüdischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts
Eine jüdische Schriftstellerin aus der Bukowina und ein kommunistischer Theaterregisseur aus China: Im Moskauer Exil der 1930er Jahre lernen sie sich kennen und lieben. Aber nur drei Monate sind sie zusammen, dann verschwindet er spurlos, und die Zurückgebliebene macht sich auf die Suche. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs führt sie die Spur ins vom Bürgerkrieg zerrüttete China. In einer Hütte begegnen sich die beiden nach elf Jahren wieder und verbringen die Nacht miteinander. Doch was wiegt schwerer, das persönliche Glück oder die gesellschaftliche Aufgabe, der sie sich verschrieben haben? Im Spiegel der chinesischen Legende vom Hirten und der Weberin erzählt Klara Blum, die große Unbekannte und Außenseiterin der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, eine kämpferische Liebes- und Lebensgeschichte, die auch ihre eigene ist.
»Ein erstaunliches Buch: die Verbindung von revolutionärem Elan, Ironie, Erzählfreude, humorvoller Ost-West-Pastichekunst mit Tendenzen zur Selbststilisierung.« Sandra Richter