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2023-08-28 08:49:06, Jamal

„In der Menschheit … sind Möglichkeiten verborgen … die niemand ohne Liebe erraten kann.“

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„Der chinesische Bauer blickt selbstbewusst zum Himmel auf, nennt die Milchstraße den Silberstrom und hält sie für eine Fortsetzung des Hoang-Ho, an dessen Ufern sein Dörfchen liegt.“

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„Ich meine nicht Sie, Hanna. Sie sind monogam aus Größenwahn.“

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„Hans und Franja standen beieinander, äußerlich sehr korrekt und doch wie eingeschmolzen in eine Lichtflut gemeinsamer Schönheit.“

In einer Lichtflut gemeinsamer Schönheit

Zum ersten Mal begegnen sie sich im Wartezimmer des Moskauer Büros der Internationalen Arbeiterhilfe. Die in Drohobytsch (im Roman Drohobycz) geborene, aus Wien emigrierte, politisch engagierte Schriftstellerin Hanna Samoilowna Bilke und der Shanghaier Revolutionär und Theaterregisseur Tschang Nju-Lang sind auf Anhieb voneinander eingenommen.  

„Mir scheint“, bemerkt Hannas Begleiter, „der Chinese hat Feuer gefangen.“

„‚Das gehört sich so‘, (versetzt) Hanna mit träumerischer Selbstverspottung.“

Es ist Liebe auf den ersten Blick. Hanna und Nju-Lang fallen sich im Verlauf der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft in die Arme.

„Weit war die Welt wie nie zuvor.“

Klara Blum, „Der Hirte und die Weberin“, Roman, mit einem Essay der Herausgeberin Julia Franck, Die Andere Bibliothek, 48,-  

Im Januar 1938 erhält der konspirative Kader Nju-Lang von der Komintern den ehrenvollen Auftrag, ein Buch über das Sowjettheater zu schreiben. Eine Hospitanz am Stanislawski-Theater gewährt ihm privilegierte Einblicke.

Nju-Lang erklärt sich Hanna. Eine arrangierte, inzwischen aufgelöste Ehe machte ihn zum Vater eines Sohns. Als Mitglied der KPCh gehorcht er Parteibefehlen. Seine erste europäische Station war Paris. Er saß da im Gefängnis. 

Hanna betrachtet sich als Kommunistin. Sie teilt ihre Überzeugungen mit ihrer Schöpferin. Die aus Czernowitz gebürtige Klara Blum fühlte sich der Internationaler Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller verbunden. Im Rahmen einer Studienreise besuchte sie 1935 die Sowjetunion. Blum blieb. Bereits 1935 nahm sie die sowjetische Staatsbürgerschaft an. Im Weiteren publizierte sie auf Deutsch.  

Zur biografischen Vorlage des Romans:

„(Klara Blum) schildert … ihre Beziehung zu dem chinesischen Journalisten und Regisseur Zhu Rangcheng, der vier Monate nach ihrem Kennenlernen 1937 in Moskau spurlos verschwand. Nach dem zweiten Weltkrieg suchte sie ihn in Shanghai ... Bis zu ihrem Tod blieb für sie das Rätsel um sein Verschwinden ungelöst. Zhu Rangcheng war in der Sowjetunion verhaftet worden und 1943 in einem sibirischen Lager umgekommen.“ Oksana Herheliinyk, Quelle

„Der Hintergrund ihres Chinaaufenthalts war nach ihrer Darstellung eine ‚Affäre‘ mit einem Chinesen in Moskau und die Suche nach diesem nachdem er verschwunden war. Dieser Herr Zhu war allerdings in der Sowjetunion verhaftet worden und ist dort offenbar umgekommen.“ Thomas Kampen, Quelle

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Wird Nju-Lang - so wie sein Vorbild Zhu Rangcheng - von einer stalinistischen Säuberungswelle erfasst?

Im Augenblick ihres Glücks erzählt Nju-Lang Hanna ein chinesisches Märchen nach dem nächsten. Er macht die Geliebte mit einer volkstümlichen Kosmologie vertraut.

„Der chinesische Bauer blickt selbstbewusst zum Himmel auf, nennt die Milchstraße den Silberstrom und hält sie für eine Fortsetzung des Hoang-Ho, an dessen Ufern sein Dörfchen liegt.“

Die Liebe lässt Nju-Lang nicht erblinden. Er sieht Hannas „schlechte Haltung … (ihre) Unsportlichkeit … (einen) Mangel an Selbstbeherrschung“. Dazu morgen mehr.

Aus der Ankündigung

Der einzige vollendete Roman einer der großen deutsch-jüdischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts

Eine jüdische Schriftstellerin aus der Bukowina und ein kommunistischer Theaterregisseur aus China: Im Moskauer Exil der 1930er Jahre lernen sie sich kennen und lieben. Aber nur drei Monate sind sie zusammen, dann verschwindet er spurlos, und die Zurückgebliebene macht sich auf die Suche. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs führt sie die Spur ins vom Bürgerkrieg zerrüttete China. In einer Hütte begegnen sich die beiden nach elf Jahren wieder und verbringen die Nacht miteinander. Doch was wiegt schwerer, das persönliche Glück oder die gesellschaftliche Aufgabe, der sie sich verschrieben haben? Im Spiegel der chinesischen Legende vom Hirten und der Weberin erzählt Klara Blum, die große Unbekannte und Außenseiterin der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, eine kämpferische Liebes- und Lebensgeschichte, die auch ihre eigene ist. 

»Ein erstaunliches Buch: die Verbindung von revolutionärem Elan, Ironie, Erzählfreude, humorvoller Ost-West-Pastichekunst mit Tendenzen zur Selbststilisierung.« Sandra Richter