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2023-09-06 12:06:09, Jamal

„Natürlich ist die Bewegung wichtig, aber die Bewegung ist nicht die Essenz. Die Essenz ist der Geist, der sich mit dem Chi verbindet.“ Mingyur Rinpoche

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„Jede gute Geschichte handelt von Sex, Tod und Tieren.“ Lea Streisand

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„Wenn man betroffen ist, hört die Ästhetik auf.“ Heiner Müller

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„Ich … musste mir Gewalt antun, um meine Vernunft zu behalten … und mich ihm (nicht), was ich bereits beschlossen hatte, rückhaltlos hinzugeben. Ich tat es nicht, weil ich mir sagte, eine solche Hingabe würde ihm als das erscheinen, was sie wirklich gewesen wäre, ein Akt der Dankbarkeit, und das hätte in seinen Augen den Wert meines Besitzes und dadurch sein Glück verringert. Ich musste mit seinem phantastischen Geiste rechnen: die Schwierigkeiten, die, wie er glaubte, zu überwinden waren, ehe er mich erringen konnte, waren zu seinem Glücke wahrscheinlich sehr nötig.“  Wanda Sacher-Masoch über ihre erste persönliche Begegnung mit Leopold Sacher-Masoch

Um das Jahr 1990 in der Gegend der Ereignisse © Jamal Tuschick

Provinzielle Deutschfreuden

Tayfun Yıldız zieht die Tageszeitung aus der Röhre neben dem Briefkasten. Weder er noch seine Frau sind an den Neuigkeiten interessiert, die im Schwarzwälder … verbreitet werden. Veronika und er scheren sich noch nicht einmal um die Kleinanzeigen. Der Klinikchef und Oldtimer-Porschefahrer bedenkt die Niederungen der Horoskope und Kreuzworträtsel. Im assoziativen Tiefflug landet er bei Spinnweben und unheilbar verstaubten Einweckgläsern. Tayfun fiele es nicht im Traum ein, das Abonnent zu kündigen. Das Kreisstadt-Käseblatt gehört zum ländlichen Lebensstil.

Tayfun gefällt sich als Genießer provinzieller Deutschfreuden bis hin zu den sommersonntäglichen Grillabenden mit subalternen Kolleginnen. Er kehrt ins Haus zurück und legt die Zeitung auf ihrem Platz ab. Er wagt einen Vorstoß auf das mit dem Abschiedsgruß bereits aufgegebene Terrain. Er lauscht der (von Leitungsgeräuschen und kaum vernehmbarem Rauschen perforierten) Stille. Seine Frauen, um die prahlerische Gatten- und Ziehvater-Diktion mit ihren verbotenen Applikationen wenigstens einmal zu streifen, haben sich in ihre Bäder zurückgezogen. Schon verflüchtigt sich seine hausherrliche Souveränität. Gerade nimmt er Fühlung zu Vorgängen auf, die ihn ausschließen.

Eingemottete Nachtgeschirre

Auf eine tyrannische Weise wohltuend erscheint Veronika heute Morgen die kalte Dusche, die sie sich vor ein paar Wochen erstmals verordnet - und sich nun doch erst zum dritten Mal zugemutet hat. Die schwache Bereitschaft zur Überschreitung ihrer Komfortzone wertet die promovierte Archäologin als Menetekel. Sie erkennt Vorboten künftiger Schwächen; herbei befürchtete apokalyptische Reiterinnen am Existenzhorizont.

Veronika ist die mutigste und sportlichste der sieben Steinbrecher-Schwestern. Ihre Erfolge als Turnierreiterin sind Quellen des Familienstolzes. Als prominenteste Tochter des rossnärrischen Selfmade-Millionärs Anton S. beansprucht Veronika eine Sonderstellung im Verwandtengefüge.

Nackt stellt sie sich einer gnädigen Prüfungskommission ihrer inneren Instanzen. Sie mustert das Produkt einer bewegungsorientierten Erziehung. Reiten, rudern, schwimmen, Skifahren, Gymnastik. 

Die Witwen rechtzeitig gestorbener Männer …

Die Selbstbetrachtung zersplittert in einer Aussicht auf eine mit lauter, vorgeblich schicksalsergebenen Groß- und Urgroßtanten besetzten Ahnengalerie. Die Witwen rechtzeitig gestorbener Männer fanden ihre Erfüllung in einem schwäbisch-pietistischen Schwestern- und Cousinenbund. Jede war bedacht und gesegnet mit einem väterlichen Weinbergstreifen über dem Kloster von Maulbronn. Jede erzählte die Geschichte von dem Klostertunnel voller Säuglingsleichen. Ob die Nonnen in dem nach Ö… führenden Gang auch entbanden?

Jede wirtschaftete im eigenen Haus. Die Häuser waren stiegeneng, dunkel und feucht. Niemand betrat sie je durch die Vordertür. Alle gingen durch den Garten zur rückwärtigen Küchentür. Niemand warf je etwas weg. In den Mansarden vergammelten Matratzen, Nacht- und Waschgeschirre. In den letzten Durchgängen schafften sich die Greisinnen futuristische Fernsehsessel an, die sich im Altbestand grotesk ausnahmen.

Ein Leben in der Ursprungsumgebung als Ideal; Veronika begegnet ihrer Tochter Alessa, kurz Issa, an der Frühstücksbar. Die Begrüßung fällt kühl aus. Issa verübelt ihrer springlebendigen Mutter allerhand. Sie erwartet von der Zweiunddreißigjährigen jenes gesetzte Verhalten, dass die regelmäßig deutlich älteren Mütter ihrer Freundinnen an den Tag legen.