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2023-09-12 10:30:10, Jamal

The fate of the overpowering enemy is to achieve a result with superpower, that you would otherwise only be able to achieve with idiots. Jamal Tuschick

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„Ich fühle diesen Energieschub, als wäre ich aufgefüllt worden.“ Daniel Richman. Zitiert nach Lou Reed, Laurie Anderson, „The Art of the Straight Line - Mein Tai Chi“

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„Wenn man etwas erfolgreich umgestalten will, muss man so weit gehen, dass die (Nachfolger:innen) nicht mehr umkehren können.“ Deng Xiaoping

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„Jedes System stirbt an Entropie und überlebt durch Information, die über fast keine Macht, aber durch ihre Knappheit über umso größere Dichte verfügt.“ Michel Serres

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„Eine Zunahme der Entropie bedeutet Informationsverlust und nichts Anderes.“ Gilbert Newton Lewis

In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick

Theatralisches Entzücken

Im Schweiße seines Angesichts stemmt Navin mit dem Schlagbohrer eine Betondecke auf. Es ist neun Uhr am Vormittag und schon brüllend heiß. Nahe der Baustelle striegelt Navins Cousine Alissa, kurz Issa, die älteste Stute auf der Koppel. Antje ist die Mutter der Gräfin und Großmutter von Apfelschnitz. Der kindlich-staksige Hengst treibt sich zügellos und unruhig im Dunstkreis der Leitstute herum. Unter dem Prunknamen Othello-Tornado wird er bald über die Landesgrenzen hinaus berühmt werden. Doch im glühend-gleisenden Jetzt erscheint er der Welt bloß possierlich-verrückt. Schnaubend und mit vibrierenden Flanken springt er wie ein Ziegenbock um seinen Schatten herum. Navin registriert die theatralische Note im Entzücken der Cousine. Issa amüsiert sich dekorativ. Navin erkennt darin eine zwillingsgleiche Gemeinsamkeit. Issas Mutter Veronika, die Königin der sieben Steinbrecher-Töchter, präsentiert sich genauso bühnenreif und abgezirkelt.

Triste Tante

Auch Issa macht ihre Beobachtungen. Navin trägt weiter nichts als einen Blaumann. So könnte er in einem kernigen Zigarettenwerbespot auftreten. Issa weiß, dass Navin ihren gemeinsamen Großvater vergöttert. Der im Augenblick abwesende Patriarch Anton Steinbrecher erfüllt Aufgaben als Idol und Gegenfigur zu Navins schiefgewickelter Mutter Doris. Gerade leitet Issas tristeste Tante einen grotesken Freiübungsbetrieb. Die gefällefreie Fläche der Reitbahn nutzt die Drittjüngste im siebenköpfigen Schwesternstrauß für ein Experiment. Sie bietet Sommeryoga für die zweite Lebenshälfte an. Die bäurisch-weibliche Kundschaft knurrt vor Schwerfälligkeit. Seit Gründung der Bundesrepublik kam es keiner in den Sinn, Gymnastik zu treiben. Wozu auch?

Inzwischen wurde Westdeutschland von der Fitnesswelle überrollt.  

Doris leidet über den Familienkreis hinaus unter dem Ruf der Sorgentochter. Nach zehn Weltwanderjahren kehrte sie desillusioniert in die Obhut ihrer Eltern zurück. Anton richtete ihr, ihrem Lebensgefährten Raimund und - lediglich nominell auch – Navin Räume über dem Stall her. Das entspricht einer Zurückstufung auf das Gesindeniveau.

Navin lebt mit den Vorrechten eines Sohns im Haus der Großeltern. Doris erträgt ihre Erniedrigung im Sinn einer gerechten Strafe. Wer nicht hören will, muss fühlen. Sie hätte es so leicht haben können wie ihre tadellos unter die Haube gekommenen Schwestern. Kein armer Mann wagte sich unter die Verehrer.

Wer nichts hat, bleibt für sich oder bei seinesgleichen.