„Unglück folgt Unachtsamkeit.“ Gichin Funakoshi
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Sehen Sie auch hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier.
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„Dienstag, 8. Februar 1876 - Nach den Wortbeiträgen über das Papsttum, die Gedankenlosigkeit deutscher Philosophen, die impulsiven Aktionen von Irrenärzten, die Ursachen der Syphilis ist das letzte Wort des Diner-Gesprächs bei Brébant das Folgende:
‚Die Filzlaus ist also vom Schöpfer entschieden weniger gut ausgerüstet als die Laus?‘
Nie spüre ich meine Einsamkeit, die Vereinsamung meines Herzens mehr als im Umgang mit herzlichen Bekannten und im Kreis meiner Freunde.“ Aus dem Tagebuch der Brüder Goncourt
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„Fünftausend rosa Slips bejahen nicht das Leben.“ Heiner Müller
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„Ich habe … wiederholt Proben dafür geben können, dass die Dichter Fehlleistungen ebenso als sinnvoll und motiviert auffassen, wie wir es … vertreten.“ Sigmund Freud
In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick
Verschleierte Selbstbeschädigung
Mit dem Ziel, dass Absichtliche am Zufälligen herauszustreichen, exploitiert Sigmund Freud die eigenen Grenzgänge. Wie „eine scheinbar ungeschickte Bewegung höchst raffiniert zu sexuellen Zwecken ausgenützt werden kann“, illustriert er am Beispiel einer unter dem Vorwand der Hilfsbereitschaft herbeigeführten Überschreitung. „Plötzlich (stand) ich dicht hinter ihr … und meine Hände trafen sich einen Moment lang vor ihrem Schoss … Es schien … keinem aufzufallen wie geschickt ich diese ungeschickte Bewegung ausgebeutet hatte.“
Heute gibt sich kein Mensch mehr die Blöße einer solchen Offenbarung. Die Pionier:innen der Psychoanalyse sahen sich von einschlägigen Mitteilungen noch nicht diskreditiert. Freud überliefert eine Episode, die Wilhelm Stekel preisgab. Jener habe scheinbar versehentlich die Schleife des locker sitzenden Morgenkleides einer Dame geöffnet, während sie ihn lediglich bürgerlich formell begrüßte. Stekel attestierte sich „die Geschicklichkeit eines Eskamoteurs“ bei einem Manöver, dass sich von beiden Parteien leicht übergehen ließ.
Freud bringt einen Fall aus seiner Praxis an. Eine junge Frau brach sich bei einem Kutschunfall die Knochen eines Unterschenkels. In der Phase ihrer Immobilität zeigte sie sich merkwürdig ungerührt. Eine unnatürliche Ruhe wurde zur Ouvertüre einer „schweren neurotischen Erkrankung“. Freud liefert die Auflösung. Bei einem gesellschaftlichen Ereignis im erweiterten Familienkreis exponierte sich die Frau (nach den Begriffen ihres Gatten unschicklich).
„Sie tanzte kunstgerecht Cancan.“
Das große Publikum raste vor Begeisterung, der Gatte vor Eifersucht. Er warf seiner Frau das Schlimmste vor. Am nächsten Tag „begehrte sie eine Ausfahrt zu machen“. Sie wählte selbst die Pferde, „refüsierte ein Paar“, und widersetzte sich einer gemeinsamen Ausfahrt mit ihrer Schwester und deren Säugling. Freud nennt den Unfall eine Strafe, die zur Schuld passt: im Rahmen einer verschleierten „Selbstbeschädigung“.
Freud streift das Genre der verkappten Selbstmorde.
Er zieht ein Beispiel aus der Literatur heran - Fontanes L‘Adultera. Der Titel - Die Ehebrecherin - gibt den Titel vor. Die mit einem grobschlächtigen Berliner verheiratete Melanie wirft einen so Ball so ungeschickt, dass ihr Gatte ihn gar nicht fangen kann. Stattdessen fällt der Ball dem heimlichen Adressaten zu - auf der Sommerwiese „einer keimenden Neigung“ zum künftigen Liebhaber. Folglich war der Fehlwurf gar keiner, sondern eine zukunftsweisende Intervention. Fontane befördert „eine ungeschickte Bewegung“ zum Omen.
Der mit dem Hokuspokus der Indienfahrer:innen überfrachtete, von einem Guru gezeugte, in einem Yoga-Retreat auf Hawaii zur Welt gekommene, als Kleinkind im Ashram von Poona herumgereichte Navin, bemerkt ein übergriffiges Interesse. In der Gegenwart des Siebzehnjährigen spielt seine Tante Veronika Yıldız mit ihrem Ehering. Sie zieht das Ding ab und steckt es sich auf den linken Ringfinger, als avisiere sie dem Adoleszenten eine Verbindung zur linken Hand. Siehe Freud, „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“. Die sportlich erfolgreichste der sieben Steinbrecher-Schwestern reitet regelmäßig mit dem Neffen aus. Navin verkehrt im Hause Yıldız, offiziell als Verehrer von Alissa, kurz Issa. Veronikas Gatte, der unfruchtbare Kardiologe Tayfun Yıldız, eine Koryphäe mit internationalem Ruf, bedacht mit Dankesbriefen aus aller Welt, amtiert bei Veronikas Tochter als Vater ohne Einschränkung.
Issa stammt aus der Verbindung mit einem für sie Namenlosen. Einem sagenhaften Nebelmann, den sie sich aus Gerüchten zusammensetzt.
Der gebürtige Istanbuler und passionierte Oldtimer-Porschefahrer Tayfun erlebt Navin als Rivalen. Da der Hausfreund täglich wenigstens zwei Stunden trainiert, leidet Tayfun unter Navins körperlicher Überlegenheit nicht zuletzt. Jedenfalls hat der Hausherr das Fünfundzwanzigmeterbecken nicht deshalb in seinen Garten setzen lassen, dass da ein Muskelprotz an beinah jedem Sommertag die Aufmerksamkeit seiner nächsten, im Übrigen kaum bekleideten Angehörigen auf sich zieht.