MenuMENU

zurück

2023-09-24 10:21:15, Jamal

“Hope is Action.” Amos Oz

*

Sehen Sie auch hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier.

*

„Ich werde alles tun, aber ich werde aussehen wie eine Frau, die nichts anfasst.“ Helene Dmitrievna/Gala Eluard-Dali

*

„Der Alkoholiker gleicht dem Mystiker, der seine Geisteskräfte missbraucht hat.“ Malcolm Lowry

*

Die Stille, die dem Scheitern folgt/Sprachgymnastik auf der Wörtermatte

In den 1950er Jahren beginnt Samuel Beckett das eigene Werk in seine Muttersprache zu übertragen. Er übersetzt sich selbst aus dem Französischen, so wie er sich in den 1920er Jahren ins Französische zu übersetzen begann. Er synchronisiert seine Denksprachen zunächst mit dem Ehrgeiz im Französischen völlig ungezwungen aufräumen zu können. Er sucht Wörter, die der Wirklichkeit gewachsen sind. Schiere Sprachmöblierungen sind ihm ein Graus. Er will die Schonbezüge von den Wörtersofas ziehen.

Mühelosigkeit als Ziel

Becketts Unnachsichtigkeit entgeht bald kaum noch ein Fehler. Sein Französisch schweift in der Originalität aus und gewinnt allmählich jene Elastizität, die man als sprachgymnastische Funktion in ihren Schwingungsgraden unbewusst wahrnimmt. Ihn treibt es, die innere Muttersprachbeweglichkeit fremdsprachlich zu veräußerlichen.

Polyglott schwelgt Beckett in Nuancen und Valeurs. Besonders gern harkt er die deutsche Sprache. 

„Scheußliches Wetter. Crawled out after I to Stadtschänke. Sülze. Grässlich“. 1936 in Hamburg

Vor dem Ruhm

Seine Entscheidung, den II. Weltkrieg in Frankreich durchzustehen, versteht sich nicht von selbst. Beckett kannte in den Tagen vor dem Einmarsch kaum mehr als Paris und das Einzugsgebiet lediglich von Ausflügen. Ich erinnere mich, irgendwo in Richard Ellmanns nachatmenden Detailwucherungen gelesen zu haben, dass Beckett einmal wegen Formlosigkeiten zurückgelassen werden musste, und die von James Joyce angeführte Landpartie sich weiter nicht mehr um den unbekannten Iren scherte.

Mit meiner Oma in den 1980er Jahren © Jamal Tuschick

Kulturelle Rendite und sozialer Schatten

Der Philosoph Paul B. Preciado sagt, die ersten Maschinen seien Sklav:innen gewesen. Aus ihrer Energie zogen agrarische Gesellschaften jene Überschüsse, die den Bestand auf der Achse Energie - Kultur - Technik gewährleisteten. Eine über alle irdischen Beschränkungen hinausgehende Herrschaftsanmaßung erlaubte einen Unterschied plausibel erscheinen zu lassen, den wir heute nicht mehr erkennen können.

„Der Konkurrenzkampf der kulturellen Evolution drängt uns zu Werten, die in der jeweiligen Phase der Energiegewinnung am besten funktionieren.“ Ian Morris

*

The gain lies in understanding. Comprehension itself is a means of struggle and progress. Jamal Tuschick

Akademisch hiebfest

Die längste Zeit schweiften wir aus. Wir waren so viel länger auf die natürlichste Weise Wildbeuter:innen als wir Nutzer:innen fossiler Energie sind, dass in uns allen die Sehnsucht nach dem Wald schlummert. Deshalb entspannt uns die Farbe Grün. Vor zwanzigtausend Jahren waren wir noch Jäger:innen und Sammler:innen ohne Ausnahme. Die Wildbeuter:innen-Gemeinschaften der Gegenwart agieren nach einer Hauptmeinung der Anthropolog:innen im sozialen Schatten der Fossilenergienutzer:innen ohne Verbindung zu ihren und unseren prähistorischen Vorgänger:innen.

Morris hält Folgendes für akademisch hiebfest. Der Aufenthaltsraum bestimmt den Bedarf. Der Kalorienverbrauch nimmt mit der Nähe zum Äquator ab. An den Polen ist er am höchsten. Zeit und Aufwand zur Energiegewinnung unterliegen der Rationalität. 

Kleine Gruppen, flache Hierarchien, kaum Privateigentum, große Reviere: zwei bis acht Verwandte waren mit stärkeren Verbänden fortpflanzungstechnisch verbunden. Gemeinsam sprang man in den Genpool.

Es gab Varianten im Schlaraffenland. Reiche Jagdgründe begünstigten die Sesshaftigkeit. Sesshaftigkeit begünstigte immobilen Besitz und den Aufbau von Hierarchien. Feste Lager nahmen die bäurische Lebensform vorweg.

Ohne Sesshaftigkeit keinen Monotheismus/Abgedankter Gott  

Der Verzicht auf Gott schließt auch den Teufel aus. Sigmund Freud bemerkt das irgendwo. Natürlich ist man am Ende wieder da, wo der Teufel (dieser abgedankte Gott) wohnt. Es sei schade, sagt Elisabeth ‚Betty‘ Steinbrecher vorgeblich zu ihrer miserablen Tochter Doris, dass viele erst zu Gott finden, wenn es ans Sterben geht, und sie zu alt sind, um nennenswerte Beiträge an die Kirche zu entrichten.   

Mutter und Tochter bilden ein Bollwerk gegen das vor einem halben Jahr wieder eingetretene Eliteehepaar Salome und Claus Mayerhofer. Er war Abteilungsleiter bei einem transkontinental aktiven Vorzeigemittelständler, sie Rektorin einer Grundschule im Enzkreis.

Salome und Claus stellen knitternde Leinenlässigkeit zur Schau. Sie sind so viel mehr Toskana-Fraktion als es in Berlin jemand sein könnte. Seit Jahrzehnten betrachten sie die Dinge von einer überlegenen Warte. Sie kokettieren mit ihrer Provinzialität. Ihr Haus in gemäßigter Hanglage antizipiert den Terracotta-Schick der Brioni-Kanzler-Ära.

Die Begegnung vollzieht sich vor der Kirche von Ö… Für den Bau besitzt Betty transgenerationale Schlüsselgewalt.

Die Kirche okkupiert einen vorfränkischen Gerichtsplatz. Sie ist das Wahrzeichen der christlichen Überformung einer älteren Heiligkeit.

Gebieterisch überblickt die Matriarchin den Friedhof ihrer Familie. Betty hatte nie die Idee, anderswo glücklicher sein zu können als im Geburtsdorf ihrer Mutter Pauline. Jenen Pensionär:innen, die für ihre späte Gottesfurcht Aufmerksamkeit und Anerkennung ihrer vergangenen Bedeutung fordern, zeigt sie die kalte Schulter.

„Sie fürchten nicht Gott, sondern den Tod. Die Gemeinschaft Gottes haben sie nie verstanden.“

Seit Tagen präsentiert sich der Sommer als Wüstenmacher. Die Schattensilhouetten der kleinen Gesellschaft gewinnen dramatische Schärfe.

Doris geht nur noch mit ihrer Bitterkeit hausieren. Sie sucht nach einem Format für ihre Empfindungen und bleibt am Kitsch einer stummen Selbstanklage kleben. Sie entnimmt dem grollenden Muttertext bloß den Tipp, wie man Rührkuchen akkurat anschneidet. Sie erinnert ein Parfum, das ihr einst verheißungsvoll erschien. Es liquidierte Winnetous Braut Patschuli.   

Im Präsens ihrer guten Jahre:

Mit unterschlagenen Beinen sitzt sie vor dem Roma in Bretten auf Rattan. Mit einer Freundin teilt sie sich eine Portion Prosciutto e Melone. Doris kennt die Kombination aus dem letzten Urlaub. Vor einer Aufführung in der Arena von Verona aß sie zum ersten Mal Schinken und Melone in einem Restaurantgarten. Sie saß unter verwirrten Stoffbahnen mit dem Gefühl, dem Weltkühlschrank viel mehr entnehmen zu können als ihre Vorfahren.

D. kreuzt auf. D. wie Dalí. Der typische Vorstadtcasanova. Sein Habitus behauptet, der Schauplatz seiner Wilderei sei viel zu klein für den Weltmann. In Wahrheit ist die Kleinstadt schon fast zu groß für den expatriierten Spanier, der zwar besser Handball spielt als seine Kameraden, aber eben doch nicht so viel besser, als dass er in einer höheren Spielklasse bestehen könnte. Typischer geht es gar nicht. D. ist das klassische Jim-Beam-Cola-Orakel am Tresen der einzigen Absturzkneipe einer schwäbischen Munizipalität. Die nach der neusten Mode im Trenchcoat gekleidete Dreigroschenkoryphäe trägt fett auf, brennt ihr Discountfeuerwerk ab. Vermutlich ist es D. gleich, ob Doris oder ihre Freundin …