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2023-10-09 10:18:48, Jamal

Lob!

Das Lob bezieht sich auf diese Besprechung.

Lieber Herr Tuschick,

haben Sie vielen Dank für Ihre fundierte und beeindruckende Besprechung von „Straffers Nacht“. Und viele neue Anregungen für mich. Muss unbedingt Ihren Hinweisen folgen!

Herzliche Grüße

Ihr

Günther Butkus

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Pendragon Verlag

Der weiche Wind an meinen Beinen

„Und der Blick, den er Maria schenkte, war pflichtschuldig aufgeladen mit sexueller Wertschätzung, die nicht Maria galt.“ Joan Didion

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Sehen Sie auch hier.

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„Kein Wind ist demjenigen günstig, der nicht weiß, wohin er segeln will.“ Michel de Montaigne

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“It is not enough to succeed. Others must fail.“ Gore Vidal

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„A narcissist is someone better looking than you are.” Gore Vidal

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„Die Azteken opferten so (angestrengt) wie wir arbeiten.“ Georges Bataille

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„Ich hatte sehr wenig mit der Generation gemein, deren Stimme ich sein sollte.“ Bob Dylan 

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„Ich liebe solche Tage - ungewöhnlich einsame Tage. Ich liebe es über alles, allein zu sein. Dann lege ich mich hin, rauche, blicke ins Feuer.“ Katherine Mansfield

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„Ich (war) aus dem Westen gekommen und in einer Fata Morgana gelandet … Ich … spürte den weichen Wind an meinen Beinen, der aus dem U-Bahn-Gitter kam.“ Joan Didion über ihren New Yorker Anfang

Die verräterischen Zeichen der Einsamkeit

„Play it as it Lays“ - Der Romantitel bezieht sich auf eine Spieler:innenweisheit. Sie lautet Nimm die Würfel, wie sie fallen. Joan Didions Heldin Maria hört den Spruch zum ersten Mal von ihrem Vater.

„Als ich zehn Jahre alt war, brachte mein Vater mir bei, die wechselnden Strategien beim Craps rasch zu erkennen.“

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In Maria Wyeths Welt gelten „Versagen, Krankheit, Angst … als übertragbar, ein ansteckender Mehltau auf glänzenden Pflanzen“. In der Bürosphäre ihres Agenten begegnet sie einem Schauspieler. Gnadenlos konstatiert die erzählende Instanz: „Der Blick, den er Maria schenkte, war pflichtschuldig aufgeladen mit sexueller Wertschätzung, die nicht Maria galt.“

Die Sieger:innen treten für „ein Leben im Sonnenschein“ Beweise an, die sämtliche Konsument:innen von „Solariumbräune“ deklassieren.

Joan Didion, „Play it as it Lays“, Roman, aus dem Amerikanischen von Antje Rávik Strubel, Ullstein, 22.99,-

Noch balanciert das Ex-Mannequin Maria auf einer Spitze über dem Abgrund der Erfolglosigkeit. In zwei Filmen war sie der Star. Nur einer davon schaffte es in die Kinos. Verheiratet ist Maria mit dem Regisseur dieser Hoffnungsstreifen am Hollywoodhorizont. Die Ehe liegt in den letzten Zügen. Längst führt Carter Lang sein eigenes Leben außerhalb von Marias Reichweite. Eine Schwangerschaft kommt ins Spiel. Maria weiß nicht, von wem das Kind ist. Carter nötigt die Verzweifelte zur Abtreibung. Der illegale Abbruch verläuft nicht komplikationsfrei.

Im Alltag wirkt Maria als schöne Nebendarstellerin in Szenen zwischen Erschöpfung, Luxuslaunenhaftigkeit und Gehässigkeit mit. Wieder und wieder entzieht sie sich dem Treiben von Langeweile bis zur Bösartigkeit gereizter Reicher. Die Gestopften ekeln sich vor den Schranzen in ihrem Dunstkreis, ohne das Antichambre-Personal entbehren zu können. Es geht um Friseure …

„Wenn ich in der Stadt bin und (ein Friseur namens) Leonhard nicht, kommt mir das fast … beängstigend vor“

… und um professionelle, in verschiedene Klassen eingeteilte Begleiter für vorübergehend und endgültig verlassene Gattinnen kulturindustrieller Major Player. Der Höflichkeitsgrad entspricht einer richterlichen Entscheidung. Ganz schlimm steht es um jemanden, sobald man ihm mit „defensiver Herablassung“ unter die Arme greift.  

Ihre Solo-Capricen entführen Maria in die Welt ernsthaft (für kleines Geld) arbeitender Leute. Sie studiert das Single-Programm im Supermarkt. Sie identifiziert die verräterischen Zeichen der Einsamkeit. Dazu zählen kleine Tuben.

„Das einzelne Lammkotelett … zwei Dosen Katzenfutter und die Morgenausgabe der Sonntagszeitung, mit der Comicseite nach oben.“

Maria verschleiert ihre Lage mit Einkäufen wie für einen großen Haushalt.  

„Waschmittel in Zehnkilokartons.“

Ihr Haus, standesgemäß in Beverly Hills, quillt über mit Lebensmitteln, während Maria nicht abweicht von ihrer Hüttenkäse-Diät.

Gesellschaftliche Midlife-Crisis

„Play It as It Lays“ erschien zum ersten Mal 1970 als literarische Bilanz einer journalistischen Recherche. Dem Roman vorangegangen war 1968 der Essayband „Slouching Towards Bethlehem“. Die als Reporterin berühmt gewordene Autorin bestimmte die Koordinaten eines Desasters, dessen drastischsten Ausschläge das Apokalypse-Now-Debakel in Vietnam lieferte. In den Vereinigten Staaten schwand das Selbstvertrauen des weißen, nicht allein von Standardverlusten bedrohten Mittelstandes. Fadenscheinig gewordene Überzeugungen boten keinen Schutz vor den aufrückenden Kohorten aus anderen Schichten. Didion konstatiert eine gesellschaftliche Midlife-Crisis.   

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Einmal trifft Maria eine wichtige Person ihrer Kindheit in einer Spielhölle. Sie entzieht sich rasch. Sie erträgt den optimistisch frisierten Benny Austin nicht.

„Er war … ein Gescheiterter mit einer Krawattennadel in Form eines Lassos.“

Am Telefon beschwört Maria Erinnerungen, die zwar keinen Wert mehr zu haben scheinen, aber trotzdem die Tapete für den inneren Panikraum liefern, in dem sie sich isoliert. Die seelische Zerrüttung mündet in einem Zusammenbruch, von dem sich Maria in einer Privatklinik erholt. Das ist der Ausgangspunkt einer langen Rückblende. Das Romanende steht am Anfang. Die größte Not ergibt sich aus Marias tragischer Mutterschaft. Ihre zum Zeitpunkt der Rekonvaleszenz vierjährige Tochter Kate lebt in einem Pflegeheim.

Aus der Ankündigung

Ein flimmernder, schonungsloser und geradezu unheimlicher Roman über die Suche nach dem richtigen Leben im Falschen 

Maria Wyeth ist eine Modellegende und ein Filmstar. Doch im Los Angeles der Sechzigerjahre verliert sie die Kontrolle über ihr eigenes Leben. Ihre geistig beeinträchtigte Tochter wird ihr weggenommen. Ihre zerrüttete Ehe ist nicht mehr zu retten, und ihre katastrophalen Liebesaffären und vermeintlichen Freundschaften bieten wenig Trost. Jeden Morgen um halb 10 Uhr steigt sie in ihr Auto und donnert über den Highway – auf der Überholspur und mit laut aufgedrehtem Radio, bis sich „irgendwo im Nirgendwo wo der makellos brennende Beton einfach aufhört“ das Gefühl der Leere verflüchtigt.

Zur Autorin

Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war u. a. Mitherausgeberin der Vogue. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literatur, die mit ihren fünf Romanen und zahlreichen Essaybänden das intellektuelle Leben der USA im 20. Jahrhundert entscheidend prägte. Joan Didion verstarb im Dezember 2021