Hampelmann mit Krone
„Es bedurfte eines Wahnsinnigen, um die Farce in ein Trauerspiel zu verwandeln.“ Konrad Engelbert Oelsner über die Ereignisse rund um den 20. Juni 1792, als bewaffnete Sansculotten in die Tuilerien eindrangen, wo Ludwig XVI. und Königin Marie Antoinette in ihrem Palast das Dasein von Festgesetzten fristeten, die den revolutionären Furor artig begrüßen mussten. Der degradierte König sagte zu allem Ja und Amen, was ihm am Leben zu bleiben versprach. Der vormals absolutistische Herrscher figurierte als Hampelmann mit Krone. Oelsner sah ihn gute Miene machen zum bösen Spiel der Stürmer:innen und Dränger:innen.
„Der ehemalige Gebieter vieler Millionen Menschen, die mehr taugten als er … saß da - Sie kennen die bourbonische Ungestalt - mit einer erzwungenen heiteren Miene, wie Pulcinello, wenn er trotz einer heftigen Kolik im Fastnachtspiele lustig sein muss.“
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„Ein gefährliches Monstrum ist der, der nichts nimmt, weil er nichts braucht. Er scheidet aus dem Handel aus.“ Alexander Kluge
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„Um derweil das Leben zu fristen, strengen (Pfarrer und Lehrer) die Köpfe an, um Bildung und Religion, die von ihnen verwalteten Fächer, so schwierig zu machen, dass sie ihr lebenslanges Auskommen daran haben.“ Alexander Kluge
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„Die Totenstille, die dem Orkan des Tages folgte, das Geflüster an den Türen … die erleuchtete Nacht, das einsame Rollen einiger Fiaker, die vielleicht Proskribierte führten, alles lud nicht zum Schlafe, aber zu ernsthaften Betrachtungen ein.“ Konrad Engelbert Oelsner in Paris am 14. August 1792
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„An nichts entzündet sich die bürgerliche Liebe so sehr wie an der schmeichelhaften Erfahrung, dass man die Kraft besitzt, einen Menschen in ein Entzücken zu jagen, worin er sich so toll benimmt, dass man geradezu zum Mörder werden müsste, wenn man auf zweite Weise die Ursache solcher Veränderungen werden wollte.“ Robert Musil, „Der Mann ohne Eigenschaften“
Im August 2023 © Jamal Tuschick
Das Witwengelübde
In einem späten Augenblick des 18. Jahrhunderts stürmen russische Truppen eine oberitalienische Zitadelle. Sie tragen die historische Flüchtigkeit eines Sieges davon, von dem nur die Leidtragenden Notiz nehmen. Das Missverhältnis von blutigem Getöse und politischer Wirkung löst Unbehagen im Themenpark der Peinlichkeit aus. Der folgenlos aufschäumende Betrieb wirkt abstoßend. Heinrich von Kleist spekuliert auf den Effekt, indem er den militärischen Radau dem weiteren Novellengeschehen mit viel Liebe zum Detail vorsetzt.
„Denn was ist eine Novelle anderes als eine unerhörte Begebenheit.“
So auf den Punkt brachte Goethe die Novelle in einer von Eckermann 1827 festgehaltenen Bemerkung. Die Novelle ist eine Form der Neuzeit ohne antikes Vorbild. Sie verlangt das Ereignis von schicksalhafter Bedeutung als Neuigkeit.
Eine Filmregisseurin könnte die Schießerei kaum reißerischer als Establishment Shot anbringen. Die Rede ist von einer Episode ohne geschichtliche Nachhaltigkeit. Die Restaurationsmächte Russland, Österreich, Großbritannien und Neapel paktieren im Zweiten Koalitionskrieg (1798 - 1801) gegen das revolutionäre Frankreich. Napoleon Bonaparte scheint vom Kriegsglück verlassen. Der Schein trügt. Zum Entstehungszeitpunkt der „Marquise von O ….“ ist der künftige König von Italien wieder obenauf. Krönen lässt er sich mit der tausend Jahre alten langobardischen Eisenkrone im Mailänder Dom.
Vorbildlich verwitwet
1800 übernimmt Napoleon wieder seine italienische Vormachtstellung. Warum kümmert sich Kleist um einen Sieg der Verlierer, dem lediglich die Kalamitäten von Rückzügen folgten?
Eine „bedeutende (mit M. abgekürzte) Stadt“ gibt den Schauplatz der Ereignisse ab. Da lebt die vorbildlich verwitwete, nach dem Tod des Gatten in ihr Elternhaus zurückgekehrte Kommandantentochter Marquise von O…. (Kleist wählte vier Auslassungspunkte). Die Mutter „mehrerer wohlerzogener Kinder“ verbirgt sich nach Kräften in eingezogenen Verhältnissen. Ihr Wandel genügt sämtlichen Vorschriften der Schicklichkeit. Die Zurückhaltung könnte sprichwörtlich werden.
Bis zu dem Tag, an dem Julietta von O…. in der Lokalpresse bekannt gibt, „ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen (zu sein)“. Der künftige Vater solle sich melden. Sie sei entschlossen, ihn umstandslos heiraten. Ohne Rücksicht auf sich, wohl aber mit Rücksicht auf die guten Sitten, will Julietta das Nötige tun.
Die öffentliche Preisgabe der mysteriösen Schwangerschaft reizt „den Spott der Welt“. Dazu bald mehr.