Die Luftspiegelungen einer Phase
„Qi (Lebenskraft) folgt Yi (Aufmerksamkeit).“ Chinesischer Volksmund, überliefert von Shi Heng Yi
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Sehen Sie auch hier. Und hier.
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„Lieber Freund, du irrst durch Abgründe … An der einfachen Wahrheit gehst du blind vorbei, wie es anscheinend alle geistigen Menschen tun.“ Robert Musil, „Der Mann ohne Eigenschaften“
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„Soweit das Heimweh nach den zwanziger Jahren tatsächlich an ein Geistiges sich heftet und nicht bloß an die Luftspiegelung einer Phase, die zugleich avanciert und noch nicht von Zellophan-Moderne überzogen sein soll, entscheiden weniger Rang und Qualität des damals Hervorgebrachten als die wahre oder vermeintliche Stellung des Geistes selbst.“ Adorno
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„Selbst dann, wenn wir in dem engmaschigen Netz einer Geschichte oder in der Drahtreuse langwieriger Ausdeutungen eines philosophischen Themas zappelten, war es ein Vergnügen, ihm zuzuhören.“ Henry Miller über den transatlantisch irrlichtenden Astrologen Moricand
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„Während sich Grouville (als ‚Sekretär des exekutiven Rats‘) … (zerknirscht) seines Auftrags entledigte, hörte ihn der (zum Bürger degradierte) König mit der strengen Gelassenheit eines Mannes (an), der seinen Entschluss gefasst ...“ So überliefert Konrad Engelbert Oelsner die intime Verkündigung des an Ludwig XVI. zu vollstreckenden Todesurteils in einem Brief vom 22. Januar 1793. Der Delinquent war einen Tag zuvor öffentlich hingerichtet worden. Über Grouville ließ sich auf die Schnelle nichts in Erfahrung bringen.
Anflug auf Venedig am 06.11.2022 © Jamal Tuschick
Sunzi-Machiavellismus
Nach 157 Jahre als britische Kronkolonie fällt Hongkong 1997 an die Volksrepublik China zurück. Deng Xiaopings Versprechen „Ein Land, zwei Systeme“ ist sofort nichts mehr wert. Die Wettbewerbshochburg Hongkong soll zwar ihre Totalisatoren nicht verlieren, aber trotzdem nach Pekinger Prinzipien funktionieren.
Die Idee der historischen Kontinuität - In der chinesischen Lesart summieren sich die Staats- und Gesellschaftsdebakel der letzten dreihundert Jahre zu einer verrutschen Plansollerfüllung im Spektrum der Belanglosigkeit. In seinen eigenen Begriffen bleibt China stets im Plus der (im Bauplan der Welt vorgesehenen) Suprematie.
China expandiert unter dem Banner von Wohlstand statt Freiheit. Mit dieser Formel wird die Dschunke des chinesischen Wirtschaftswunders zu Wasser gelassen. Kaum fließt das Geld zur Mitte, tauchen liberalen Ideen auf. Die demokratisch konnotierten Teilhabeerwartungen einer neuen Mittelklasse schaffen sich ihre eigenen Instrumente. Deng Xiaoping steht an der Staatsspitze, ohne ein Amt innezuhaben. Zwar herrscht er als Mao Zedongs Thronfolger, doch mit eigener Agenda. In seiner Regie öffnet sich das Land. Wir hören es aufatmen.
„Wenn man etwas erfolgreich umgestalten will, muss man so weit gehen, dass die (Nachfolger:innen) nicht mehr umkehren können.“ Deng Xiaoping
Eine paradoxe Situation führt mich und andere Expert:innen jahrelang ständig nach China. In Dekaden da vernachlässigtes und lange auch illegales Kampfkunstwissen wird mit Hilfe westlicher Wissender neu registriert und systematisiert. Zufällig lerne ich Bo kennen. Als Deng Xiaoping zur Harmonisierung von kapitalistischem Wettbewerb und kommunistischer Ideologie aufrief, schoss Bo wie eine Rakete aus seinem Startloch. Er begann als Stahlwerker. Inzwischen entwickelt er in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen Immobilien.
„Aufgrund der Nähe zu Hongkong und dem dadurch erhofften wirtschaftlichen Wachstum wurde im Mai 1980 die erste Sonderwirtschaftszone … in Shenzhen eingerichtet.“ Quelle
Das Regime zimmerte den Rahmen für massenhaften Wohlstand. Über Nacht entstand eine Klasse ohne historisches Vorbild. Für die aus ewigen Elendskreisläufen Herauskatapultierten baut Bo Wohnungen, die ins Bild vom neuen China passen. Patriotismus und Pflichterfüllung ist für die vom Glück Erfassten selbstverständlich. Jüngere Chinesinnen und Chinesen stehen loyaler zu ihrem Staat als ihre Eltern es taten/tun.
Status erzeugt Stolz. Eine rasend schnell breiter werdende Mittelschicht bedankt sich mit beseeltem Konformismus für eine gedeihliche Gegenwart und die guten Aussichten als künftige Nummer Eins auf allen Weltspielfeldern.
Zwanzig Jahre später
Die in der zweiten Morgenröte der chinesischen Revolution Person gewordene Partei präsentiert sich als Garantin einer hymnisch beschworenen historischen Kontinuität. Noch strebt Xi Jinping die Weltherrschaft verdeckt an. Er befolgt nicht nur den Machtkatechismus maoistischer Provenienz. Xi orientiert sich auch am Sunzi-Machiavellismus.
Wir, die wir im Haus des Gong-fu das Leben feiern, kennen die Quellen, aus denen Xi schöpft. In dieser Perspektive funktioniert Konsum als Weichmacher einer Diktatur, die vom Geschichtsverlauf bestätigt und angehoben erscheint.
“There is force in the universe, which, if we permit it, will flow through us and produce miraculous results.” Mahatma Gandhi
Die Wahrheit bleibt eine Variable.
“China is using its civilian fishing forces ... as an extended arm of the Navy and militarized in this way the oceans.” Janka Oertel
The joke: You see fishing boats, but they fulfill a military function.
“Slow shifting of realities and distortion of the initial situation.” Janka Oertel
See Antonio Gramsci: “The conquest of cultural power takes place before the assumption of political power. This is achieved through a concerted action of intellectual ‘organic’ appeals. They infiltrate every form of communication, every form of expression, and the academic media.”
The standard maneuver is to dupe the intuition/rationality of the unsuspecting. Their realism is undermined.
Mao erpresste Bäuerinnen und Bauern. Er entzog den Produzentinnen die Arbeitsleistung über das Existenzminimum hinaus, um in den sozialistischen Schwester- und Bruderländern Getreide und Fleisch gegen militärisches Know-how einzutauschen. Dörfer starben aus.
„Die Toten sind nützlich … sie können den Boden düngen.“ (Stefan Aust, Adrian Geiges, „Xi Jinping - der mächtigste Mann der Welt“) Morgen mehr.