„Dokumente der Niedertracht“
„Liege ich falsch, wenn ich eine gewisse Kälte fühle, mit der man in Deutschland auf das Massaker der Hamas in Israel reagiert?“ Axel Hacke in der Süddeutschen Zeitung am 26.10. 2023, Quelle
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„Hieß es in den ersten Tagen: „Ja, ich bin entsetzt und solidarisch“, heißt es nun immer öfter: „Ja, aber …“ Viel zu schnell kommt dieses Aber. Der Zivilisationsbruch, der stattgefunden hat, die barbarische Gewalt, die wir erleben mussten, ist ein Massaker, in dem Empathie und Menschlichkeit keinen Platz hatten. Kann man nicht ein paar Wochen einfach nur trauern … und sich auf die Seite der Opfer stellen?“ Michel Friedman im Gespräch mit Cornelia Geißler, Berliner Zeitung vom 26.10. 2023, Quelle
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„Die schleichende Institutionalisierung des Israelhasses wird dieser Tage deutlich ... Es war unüberhörbar. Der Kunstbetrieb hüllte sich nach den Hamas-Massakern an israelischen Zivilisten zunächst in Schweigen ... Mittlerweile aber hat der Kunstbetrieb seine Stimme wiedergefunden: Seit Tagen sorgt ein auf der Website des Kunstmagazins Artforum publizierter, von über 1000 internationalen Künstlern unterzeichneter offener Brief für Aufsehen. Sie bekunden ihre Solidarität mit dem palästinensischen Volk, unterstützen dessen Befreiung, sprechen tatsachenwidrig vom besetzten Gazastreifen und werfen Israel eine genozidale Politik vor. Vor allem aber schaffen es die Autoren, die Hamas mit keinem einzigen Wort zu erwähnen!“ Eugen El in der „Jüdischen Allgemeine“ vom 22.10. 2023, Quelle
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„Auf der offiziellen politischen Bühne erleben die Juden und der Staat Israel seit dem Hamas-Massaker alle Solidarität, die sie sich wünschen können. Aber im progressiven Teil der sogenannten Zivilgesellschaft, in Kulturinstitutionen, in den Geisteswissenschaften, in NGOs schweigen viele, die sonst alle erdenklichen Formen von Gewalt und Mikroaggressionen anprangern.“ Jochen Buchsteiner am 22.10. 2023 in der FAZ, Quelle
Rücksichtslose Güte
„Persönlich werde ich immer nur im Namen der Juden sprechen, sofern ich durch die Umstände gezwungen bin, meine Nationalität anzugeben.“ Hannah Arendt 1946 in einem Brief an Gertrud Jaspers
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„Angesichts dessen, was geschehen ist, zählt die Verführung, seine eigene Sprache wieder schreiben zu dürfen, wahrhaftig nicht, obwohl dies die einzige Heimkehr aus dem Exil ist, die man nie ganz aus seinen Träumen verbannen kann.“ Hannah Arendt in einem Brief an ihren Doktorvater Karl Jaspers, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, „Arendt (unmittelbar nach dem II. Weltkrieg in Deutschland) lesbar zu machen“, so Thomas Meyer.
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„Mit (Heideggers) erstaunlichem Spürsinn für das, was aus lebendigem Auge und lebendigem Gebein Perle und Koralle geworden war und als solches nur durch die Gewaltsamkeit der Interpretation … in die Gegenwart zu heben war, hatte (Walter) Benjamin, ohne es zu wissen … mehr gemein als mit den dialektischen Subtilitäten seiner marxistischen Freunde.“ Hannah Arendt 1967 in einem Vortrag
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„Was das Bewusstsein verdrängt, kehrt in der Nacht zurück.“ Hannah Arendt
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„(Hannah Arendt) war … die erste Medienintellektuelle … den ihr Thema war ganz und gar das, von dem Medien vorgeben, es sei von ihnen erfunden und geprägt: erfahrene Gegenwärtigkeit.“ Thomas Meyer
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„(Karl) Jaspers … war … ein öffentlicher Intellektueller, der es sich … leisten konnte … die Jahrzehnte zu überblicken, ohne sich je korrumpiert zu haben, wobei er mit philosophischer Weisheit und rücksichtsloser Güte auf den Menschen an sich schaute.“ Thomas Meyer
Schwitzhütte im Südschwarzwald
„(In seiner Keimzeit war Heidegger) bekannt nur durch seine Mitschriften, die weitergereicht wurden, kurz: ein romantisches Phänomen, ein bekannter Unbekannter, dunkel, von Wissenden erkannt, die dabei sind, wenn Großes sich vorbereitet.“ Thomas Meyer
1934 überhört Martin Heidegger einen Ruf aus der Reichshauptstadt. Öffentlichkeitswirksam verschreibt er sich der Bodenständigkeit und preist eine geistige Schwitzhütte im Südschwarzwald als Zwingburg der Antiurbanität.
Seit 1922 residiert Heidegger nach Belieben wetterfest und almselig Auf der Sturmhöhe; so lautet die lauschige Anschrift. Am 25. Juli 1967 besucht ihn da Paul Celan. Das Todtnauberger Treffen geht als „Gipfeltreffen“ (Michel Deguy), „Wallfahrt“ (H.-G. Gadamer) und „Höllenfahrt“ (Jean Bollack) in die Geschichte ein. Celan erträgt Heideggers historische Ungerührtheit im Schlepp einer sich auf das Welthöchste berufenden Unschuld. Ein paar Mal sei er vor und während des III. Reichs entgleist. Mehr habe er sich nicht vorzuwerfen. So äußert sich Heidegger.
Thomas Meyer, „Hannah Arendt“, Biografie, Piper, 517 Seiten, 28,-
Celan erscheint nicht zuletzt als Beweiserbringer dafür, „dass nach (Auschwitz) … Gedichte in deutscher Sprache möglich sind“. So paraphrasiert Hans-Peter Kunisch das Adorno-Wort „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, dass Arendt für geschichtslosen Unsinn (Thomas Meyer) hält.
Die Philosophin schweigt zu Paul Celan; anderes als Heidegger.
„Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch.“
Da, wo Heidegger herkommt, ist der katholische Antisemitismus seit Jahrhunderten zuhause. „Im ländlichen Oberschwaben“ gehört die Judenfeindlichkeit zur richtigen Religion, so Hans-Peter Kunisch.
Entscheidend bleibt, dass Heidegger mit seinem Programm durchkommt; dass ihm die Nachkriegsfürsten, denken sie an Rudolf Augstein, das hochtrabende Gemurmel und die wegwerfenden Bemerkungen durchgehen lassen. Die bundesrepublikanische Restauration koinzidiert mit dem Achtundsechziger-Aufbruch. Zeitgenössisch Gewendete, wie der „Spiegel“- und Ex-SS-Mann Georg Wolff, der mit Augstein gemeinsam Heidegger interviewt, zitieren Adorno und jonglieren mit den Begriffen der Frankfurter Schule.
Morgen mehr.
Aus der Ankündigung
Hannah Arendt - Die große Denkerin und ihr Werk - auf Basis neuer Quellen
„Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Denkvorgang gibt, der ohne persönliche Erfahrung möglich ist. Alles Denken ist Nachdenken, der Sache nach – denken.“ Für Thomas Meyer bilden diese Sätze den Leitfaden seiner Biografie Hannah Arendts. Ihm folgt Meyer, wenn er anhand neuer Quellen ihr Leben und Werk von Königsberg nach New York, von der Dissertation über Augustin bis hin zum unvollendeten Opus magnum „Vom Leben des Geistes“ nachzeichnet und deutet. Seine Biografie beleuchtet die Faszination und die Kritik, die ihre Person und ihre Schriften zeitlebens auslösten, und macht dabei sowohl für Interessierte wie für Kenner das Phänomen „Hannah Arendt“ verständlicher.
Der hier gewählte Zugang unterscheidet sich radikal von der bisherigen Forschung. Erstmals werden bislang völlig unbekanntes Archivmaterial und andere zuvor ignorierte Dokumente herangezogen, um Arendt in ihrer Zeit dazustellen. Dabei konzentriert sich die Biografie auf zwei Lebensphasen Arendts: die Pariser Jahre nach der Flucht aus Deutschland und die Zeit in den USA bis zur Publikation ihres ersten Hauptwerkes „Origins of Totalitarianism“ 1951, auf Deutsch 1955 unter dem Titel „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ erschienen.
Daraus ergeben sich neue Perspektiven auf Arendts revolutionäres Denken. Thomas Meyers Biografie ist der Ausgangspunkt für eine notwendige Neubewertung von Arendts Leben und Werk.
Zum Autor
Thomas Meyer wurde an der LMU München promoviert und habilitierte sich auch dort. Nach zahlreichen Stationen im In- und Ausland lehrt Meyer Philosophie in München. Schwerpunkt seiner Forschungen und Publikationen bildet das 20. Jahrhundert. Er hat mehrere Schriften Hannah Arendts ediert, darunter „Wir Flüchtlinge“ (2015) und „Die Freiheit, frei zu sein“ (2018).