Kein Zuendedenker
„Im strengen Sinn kann Erasmus vielleicht kein tiefer Geist genannt werden; er gehört nicht zu den Zuendedenkern, zu den großen Umformern, die den Weltraum mit einem neuen geistigen Planetensystem beschenken; die Wahrheiten des Erasmus sind eigentlich nur Klarheiten.“ Stefan Zweig
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„Ruhe ist für den Einzelnen, umgeben von Büchern, der erstrebenswerteste Zustand.“ Johan Huizinga
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„Ohne Freiheit gibt es kein Leben, und ohne Ruhe gibt es keine Freiheit.“ Johan Huizinga
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„Rubens hätte sein Lebtag lauter Bilder in der Art des Liebesgartens … malen und seine Zeitgenossen damit vor Entzücken töricht machen können.“ Jacob Burckhardt
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“La Fornarina is the closest thing to soft porn in the high Renaissance.” Leo Steinberg, Quelle
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„Keiner soll Heiligtümer in seinem Haus haben.“ Plato, zitiert nach Jacob Burckhardt
© Jamal Tuschick
Nobilitierung eines Wiesels
In ihrer Erasmus-Biografie schildert Sandra Langereis den adoleszenten Helden als einen um sein Erbe geprellten, von beschränkten Lehrern gelangweilten und von einer totalitären „Andachtskultur“ gebremsten Novizen. In seiner Umgebung bedeutet „Lesen und Lernen“ Anverwandlung und Einfühlung in das Leiden Christi. Das Weitere dreht sich um eine lebensbreit ausgebaute Praxis zur Abwendung des Fegefeuers und dem Erwerb eines Platzes im Himmelreich. Der Passionsweg, die Hölle und das göttliche Glück der erlösten Seele sind im Alltag des ausgehenden 15. Jahrhunderts (für uns unfassbar) konkrete Daseinsmarken. „Sinnliche Frömmigkeitsübungen“ genießen ein höheres Ansehen als akademische Wissensvermehrung. Lektüre bedeutet Gebet, so Langereis.
Die Pest als Motor der Neuzeit
Die Pest kommt im Rattenpelz als unabweisbare Invasorin. Mit staatsmännischer Gewalt lässt sie sich nicht einhegen. Solange man wenig über sie weiß, streitet der Glaube mit dem Aberglauben. Bruno Latour behauptet, dass wir das Europa, in dem die Pest mächtig war, vergessen müssen. Unsere Geschichte, so Latour, erklärt die Gegenwart nicht mehr.
„Der Boden Europas hat ein anderes Wesen angenommen.“
Lange zählt die Pest zu den Wahrzeichen des neuzeitlichen Europas. Die Neuzeit beginnt mit der Pest, behauptet Egon Friedell. Der Hauptzweck der bürgerlichen Gesellschaft ist die Verdrängung des Todes, erklärt Walter Benjamin. Das 19. Jahrhundert habe „die Ewigkeit trockengewohnt, in Räumen, die rein vom Sterben geblieben sind“.
Nackttanz der Interessen
Die Pest als Motor der Neuzeit taucht bei Heiner Müller aus den Giftindustrien der Kloake als Kanalisationsproblem auf. Er denkt über Daniel Defoe nach. Dessen fiktiver Bericht über einen Londoner Pestausbruch stimmt Müller lyrisch. Es entstehen zwei auseinanderlaufende Fassungen eines Pestgedichts, das so oder so unfertig bleibt.
Die Häuser der Toten sind ledig. Ledig werden sie zu Lieferanten von Brennbarem. Das beschreibt einen Tiefstand, den Nackttanz der Interessen. Die Interessen werden von keiner Idee mehr kostümiert. (Eine Paraphrase, Müller bezieht sich so auf Shakespeare). Die Renaissance trennt die Kulturräume. (Ich weiß nicht mehr, wie das genaue Zitat geht.)
Die Renaissance erschüttert das katholische Fundament. Die Mittel reagieren über dem Zweck. Das attestiert Jacob Burckhard den neuzeitlichen Revolutionär:innen der Kunst. Der Kulturhistoriker spricht von einer „inneren Gewalt“, die sich als Einlösung einer epochalen Erwartung feiern ließe, säße man denn einem Missverständnis auf.
„Bei näherer Betrachtung schwindet einiges von diesem Schicksalsnimbus.“
Mit diesem Fazit kommt Burckhard zu Rembrandt van Rijn (1606 - 1669). Jener habe seine Gegenstände „den elementaren Großmächten Luft und Licht“ unterworfen; in jedem Fall mehr auf die Erscheinung als auf die wahre Gestalt gebend.
Burckhard arrondiert die für Rembrandt maßgeblichen, von großen Vermögen und einem überseeisch-kaufmännischen Selbstverständnis geprägten Milieus. In der Hochzeit des Malers hatten die Niederlande ihren Platz an der Sonne eingenommen. Exotische Dekors kolonialer Exploitationen korrespondierten mit einer Konzentration auf holländische Sujets. Die transkontinental operierenden Pfeffersäcke feierten die heimische Herdstelle und das Vieh auf der holländischen Weide.
Burckhard beschreibt den Kunstbetrieb der Kolonialherren als eine - unter den Aspekten Schmuck und Sammlung - auf das Häusliche gerichtete Angelegenheit. 1656 musste der verarmte Rembrandt seinen Besitz in der Sint-Antoniesbreestraat (Jodenbreestraat) aufgeben. Im Nachgang seines Ruhms bleibt er als Künstler solide bis zum letzten Pinselstrich, während er als Bürger irrlichtet.
Eine Generation vor Rembrandt dekretiert Erasmus die philologische Rückkehr zu den griechischen Ursprüngen. Für antike Denker:innen war die bildende Kunst Banausenwerk. Es ergab sich eine Feindschaft, insofern die Kunst den Mythos verherrlichte und die Philosophie das „griechische Bewusstsein“ vom Mythos frei wissen wollte. Bild und Statue dienten Kulten. Plato verlangte eine gesetzliche Regelung des Privatbesitzes von Devotionalien.
„Keiner (sollte) Heiligtümer in seinem Haus haben.“ Zitiert nach Jacob Burckhardt.
In der Renaissance erwacht das künstlerische Selbstbewusstsein. Wir betrachten die Kunstgeschichte als Galerie epochemachender Künstler:innen. Zwar sind es Modelle, die das kollektive Gedächtnis bebildern. Doch die Wertmarken ergeben sich aus den Namen der Maler:innen.
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1464 stiftet König Ferdinand von Neapel den Hermelinorden als ritterliche Auszeichnung in Nachahmung eines französischen Vorbildes. Siehe Ordre de l‘hermine. Mit dem Wappentier assoziiert die Renaissance Reinheit, Fruchtbarkeit und Kampfgeist. Die Devise „Malo mori quam foedari - Lieber sterben als (dem Sinn nach) verunstaltet leben“ folgt einer Nobilitierung des Wiesels zur Edelkreatur. So kursiert der von Ferdinand mit dem Hermelinorden geehrte Mailänder Herzog Ludovico Sforza (1452 -1508) als „weißes Hermelin“. Darauf verweist das titelgebende Hermelin in einem von Leonardo da Vinci 1489/90 geschaffenen Gemälde. Im Zentrum steht Cecilia Gallerani (1473 - 1536). Die Mätresse des Mächtigsten zählt zu den gebildeten Erscheinungen am Mailänder Hof. Da Vinci porträtiert die schwangere Poetin. Cecilia gebiert den illegitimen Fürstenspross, als sich Ludovico standesgemäß mit Beatrice d‘Este verheiratet. Die Braut erzwingt die Distanzierung ihres Mannes von der Geliebten. Cecilia muss mit dem kleinen Caesar den engsten Kreis der Herrschaft verlassen. Man verpasst ihr Lodovico Carminati de‘ Brambilla als Gatten und stellt sie komfortabel kalt.
Die „Dame mit dem Hermelin“ gerät in Cecilias Besitz und gehört bis zu ihrem Tod zum Hausstand. Im 19. Jahrhundert erwirbt Adam J. Czartoryski das Werk. Er vermacht es seiner Mutter, die Veränderungen an dem Bild vornehmen lässt. Heute hängt das mit 350 Millionen Euro versicherte Bild (Quelle) im Krakauer Nationalmuseum.
Kurz zu „La Fornarina“, einem 1518/19 entstandenen Meisterwerk der Hochrenaissance. La Fornarin - die kleine Bäckerin. Der Name der barbusig Dargestellten wird Jahrhunderte als Marginale gehandelt. Man identifiziert die Porträtierte als Tochter eines Bäckers; geboren um 1490 in Siena. Margherita Luti ist die als Hausgenossin akkreditierte Geliebte des schon zu Lebzeiten den Unsterblichen zugeordneten, vom Papst begünstigten, ewig mit der Kardinalstochter Maria da Bibbiena verlobten, offiziell nie verheirateten Raffaello Sanzio da Urbino. Raffael vollendet das Bild in seinem letzten Lebensjahr. Vereinzelt behauptet wird, die Porträtierte sei nicht Margherita, sondern Francesca Chigi, die 1518 zur Gattin aufgestiegene, langjährige Geliebte des toskanischen Magnaten Agostino Chigi. Francesca hat mit dem Bankier des Papstes fünf Kinder.
Agostino lässt in Trastevere einen Palast errichten, der als Villa Farnesina (nach dem späteren Besitzer Alessandro Farnese) zu einer römischen Sehenswürdigkeit avanciert. Raffael übernimmt Ausgestaltungsaufgaben. Agostino stirbt kurz nach der Hochzeit.