Im kalten Schneckenhaus der Unparteilichkeit
„Überall wo Hingabe gefordert wird und volle Verpflichtung, zieht sich Erasmus zurück in sein kaltes Schneckenhaus der Unparteilichkeit, für keine Idee der Welt und für keine Überzeugung hätte er jemals sich bereitgefunden, als Blutzeuge das Haupt auf den Block zu legen.“ Stefan Zweig über Erasmus von Rotterdam
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Sehen Sie auch hier. Und hier.
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„Wachsein ist für ihn gleichbedeutend mit schriftstellerischem Tätigsein, und der Schreibstift gewissermaßen ein sechster Finger seiner Hand.“ Stefan Zweig über Erasmus von Rotterdam
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„Heute ist es offensichtlich, ist im Rückblick so unanfechtbar wie die Irrationalität der Quadratwurzel aus zwei, dass diese Supermächte weder unfehlbar noch überlegen sind. Sie haben nichts, ohne ihre mit äußerster Brutalität erzwungene Vorherrschaft. Eine organisierte, systematische Brutalität, die ihre verweichlichten, schwächlichen Kinder kaum ertragen, nicht mal zur Kenntnis nehmen können. An die sie sich trotzdem als Wahrheit klammern. Ihr Absolutheitsanspruch war nie legitimiert, es gab keinen Befehl von Gott. Bloß bösartigen, willkürlichen Zufall. Und dann, Verzinsung.“
Natasha Brown über den Suprematie-Anspruch, die Empire-Nostalgie und den imperialen Impetus im Schlafrock des Liberalismus der britischen Erb-Elite
Um 1990 im Taunus © Jamal Tuschick
Gepanzerte Götter
Wenden wir uns kurz Francisco Pizarro zu, der im Herbst 1531 von einem Grat der peruanischen Westkordilleren auf einem erschöpften Pferd in ein Hochtal absteigt. Sein Ziel ist ein bewehrter Marktplatz. Kein Mann in seinem Gefolge hat mit so starken Befestigungen irgendwo im Nirgendwo (aus der europäischen Perspektive) gerechnet. Vereinzelt wagt es jemand, sich erschrocken zu zeigen. Pizarro erschrickt nicht. Er verspricht jedem labilen Mann einen plötzlichen und peinlichen Tod. Er prägt einen Schlüsselsatz der Raumfahrt:
El fracaso no es una opción - Failure is not an option.
Zurzeit penetriert der Konquistador das Territorium des Inka Atahualpa. Er will den Kaziken in seine Gewalt bringen, in Nachahmung des Kollegen Cortéz, der in Mexiko Aztekenchef Moctezuma zehn Jahre zuvor erst zum Gefangenen und dann zum Spielball seiner Interessen machte.
Pizarro folgen hundertelf Mann zu Fuß und siebenundsechzig Reiter. Das ist nicht viel. Die Bereitschaft der Wilden, sich abschlachten zu lassen, hat erheblich nachgelassen. Allgemein schwindet die abergläubische Angst vor den gepanzerten Göttern. Das weiß Pizarro. In seinem Gefolge reitet ein Italiener, der die triste Nacht von 1521 mitgemacht hat - als die Cortés-Bande aus Moctezumas Hauptstadt Tenochtitlán fliehen musste.
Bruno Carrera stammt aus Genua, wie nicht wenige Italiener in spanischen Diensten. Seine elternhäuslichen Verhältnisse waren so dürftig, dass er die notorischen Anfangsgründe im Lesen und Schreiben nicht erwarb. Man tat Bruno auf ein Schiff, kaum dass er entwöhnt war. Mit Arbeit verdiente er sich manche Tracht Prügel. Man schupste ihn so lange herum, bis er sich wehren konnte. Der Gouverneur von Kuba erhob Bruno zum Trossknecht einer Expedition, die von Kariben fast vollständig aufgerieben wurde.
Bruno geriet in Gefangenschaft. In seinen Memoiren schildert er die Jahre der Unfreiheit als gemütliche Zeit mit Familiengründung und nachgeholter Schulbildung in der pädagogischen Obhut eines Navigators, der lange vor Bruno den Kariben in die Hände gefallen war.
Nie sei es ihm besser ergangen, nie habe er mehr Anerkennung gekriegt. Dann kam wieder ein Eroberer und verlangte vom örtlichen Kaziken die Auslieferung sämtlicher Europäer. Bruno war nicht der Einzige, der die Vorzüge der Zivilisationsferne so sehr zu schätzen gelernt hatte, dass er seine Wiedereingliederung in den Expeditionsbetrieb bedauerte.
Der Eroberer unterstand dem kubanischen Gouverneur und als jener Cortés befahl, den mexikanischen Staatsschatz zu stehlen, schickte er Bruno mit.
Inzwischen ist Bruno ein Mann mit Meriten. Er hat mehr gesehen als die meisten Gefolgsleute namhafter Konquistadoren. Doch steht sein Schriftstellerruhm noch in den Sternen.
Aus den Erinnerungen eines Dreschflegels: „Als wir am 21.September 1531 von San Miguel aufbrachen, glaubten nur die Narren im Zug, dass es gut um unsere Sache stünde. Wir hatten drei Geschütze. Wie sollten wir damit Krieg gegen Zehntausende führen? Die Hochländer waren hart im Nehmen. Sie gingen auch untereinander wenig zimperlich vor, einmal falsch geguckt, reichte locker für Kopf ab.
Ich ritt als Pizarros Flügelmann neben der Kotspur seines Rosses. Atahualpa fing uns in einem Hochtal ab, das er zur Pfalz gemacht hatte. Pizarro versuchte, Atahualpa mit seinem Pferd zu erschrecken, doch der Inka bewahrte Ruhe. Er ließ alle zeitnah erwürgen, die sich beunruhigt zeigten. Pizarro zog erst einmal die obligatorische Bekehrungsnummer ab. Dafür hielt er den Dominikaner Vicente de Valverde im Tross.“
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Valverde ist naturtrüb bis zur Schlammigkeit. Er stellt sich vor den Kaziken und macht das Kreuzzeichen.
Atahualpa fragt indigniert: „Was soll der Scheiß?“
Valverde rät ihm, dem Götzendienst zu entsagen. Die Dolmetscherin murmelt die Übersetzung in den Staub. Sie liegt flach vor dem Inka und wagt es nicht, den Kopf zu heben.
Valverde gibt den Missionar mit der Brechstange. Er irritiert Atahualpa, so dass der Inka kurzerhand wieder hundert Leute umbringen lässt. Er guckt, wie das ankommt bei dem Kuttenclown. Pizarro steht kurz vor einem Anfall, die Verhandlungen gehen ihm viel zu schleppend über die Bühne. Es ist beklemmend heiß, die vielen Menschen dünsten tüchtig … Valverde reicht Atahualpa eine Bibel.
Der Inka hält sich das Buch ans Ohr, er schüttelt es erwartungsvoll. Das Buch macht nix. Valverde verlangt von Atahualpa die Anerkennung des Christengottes. Atahualpa vergleicht Valverdes Gott mit der Sonne. Die Sonne scheint eindrucksvoller. Verächtlich wirft Atahualpa die Bibel zu Boden.
„Das Ding ist dumm“, sagt er. Vielleicht ist das ein Übersetzungsfehler und in Wahrheit sagt Atahualpa: „Das Ding ist stumm.“
Nun ist der Ofen aus, der Heide hat den Heiligen Vater geschmäht. Pizarro gibt das Zeichen zum Angriff, indem er sich an die Nase fasst, wie später Bruce Lee.
Pizarro greift sich Atahualpa.
„Der Verhaftete bewies Ruhe“, schreibt Bruno. „Unsere Reiter setzten den Fliehenden nach, bis die Nacht keine Verfolgung mehr erlaubte. Zweitausend waren tot, doch unter den Toten war keiner von uns.“