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2023-12-27 11:28:04, Jamal

„Mit einer solchen Furchtsamkeit der Nerven, einer solchen Überempfindlichkeit der Organe wird man schwerlich ein Held.“ Stefan Zweig über Erasmus von Rotterdam

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„Erasmus kann sich nur verteidigen in der Art gewisser Kleintiere, die in Gefahr sich totstellen oder die Farbe verändern, am liebsten aber zieht er sich bei einem Tumult in sein Schneckengehäuse zurück, in seine Studierstube.“ Stefan Zweig über Erasmus von Rotterdam

In den 1990er Jahren auf dem Mühlheimer Wehr. © Jamal Tuschick

Administrative Floskeln

Zum Schluss will er nur noch eine Weltreise machen; ein typisches Seniorending bis heute. Im Juni 1502 erreicht Kolumbus Martinique. Beim letzten Durchgang hatte er „Westindien“ (auf Geheiß des Gouverneurs Francisco de Bobadilla) in Ketten gelegt verlassen.

Bobadilla ist ein geduldiger Mann. Monatelang hat er dem abgesetzten „Vizekönig“ Kolumbus mit der Empfehlung in den Ohren gelegen, nach den Regeln der Verwaltungskunst zu demissionieren, um nicht von einer Absetzung beschädigt zu werden.

Die Kolonialherren klammern sich in der Neuen Welt an altweltlich-administrative Floskeln. Obwohl nichts ungesetzlicher sein kann als die Entrechtung der ursprünglichen Bevölkerung, besteht das Regime auf eine Fassade der Rechtlichkeit im Spektrum zwischen Farce, Simulation und inquisitorisch hochgejazzter Schmierenkomödie.  

Kolumbus war bei der Durchsetzung des royalen Gewaltmonopols gescheitert. Er hatte tauben Ohren gepredigt. Die Kolonisten untergruben seine Autorität nach Kräften. Sie hatten keinen Bock auf eine Bevormundung im Namen der Krone. Das waren actionorientierte Unternehmer. Der pomadige Führungsstil des Vizekönigs, seine geblähte Art, stank den Dynamischen. Sie wollten nicht erst nach Rücksprache mit einem Kolumbus Inder:innen abschlachten dürfen.

Bobadilla war eingesprungen, um klarzustellen, was auch im Dschungel gelten sollte, soweit er spanisch war: der Souverän ist die Krone, nicht das Volk. Er hält Kolumbus davon ab, in seinem Machtbereich zu landen. Der Gekränkte sendet Boten nach Domingo. Domingos Chef, Nicolás de Ovando y Cáceres, vertröstet den Deklassierten.

Ovando hat, was Kolumbus fehlt. Die Kolonisten tanzen nach seiner Pfeife. Er hält den transatlantischen Sklavenhandel in Schwung, seit klar ist, dass Einheimische der Arbeit auf dem Feld und in den Bergwerken nicht gewachsen sind.

Versklavung als Christenpflicht - Zuversichtlich rechnen die Sklavenhalter auf Gottes Dank, bewahren sie doch Heiden vor dem Höllenfeuer.

Kolumbus‘ Delegierte liegen monatelang vor Ovando im Staub, der Statthalter macht sie zu Bettlern. Die Mondfinsternis vom 29. Februar 1504 nutzt er als dramatische Kulisse für eine Demonstration seines totalen Machtanspruchs. Ein paar Unglückliche lässt er von Hunden zerreißen.

Allein ein Dominikanermönch wagt es, Ovandos Zorn herauszufordern. Bartolomé de Las Casas verwendet sich für den trostlosen Kolumbus. Der Statthalter schickt dem Abgehalfterten sein schlechtestes Schiff und bereitet ihm einen schmählichen Empfang. Der resignierte Rivale setzt dem Korso der Erniedrigungen eine unerklärliche Heiterkeit entgegen.

Das ist das Ende vom Lied. Im Herbst 1504 stirbt Isabella von Kastilien. Ihre schützende Hand bewahrte Kolumbus vor manchem Ungemach. Nun schützt ihn nichts mehr außer den Mauern eines Klosters. Vita contemplativa. Der Tod erscheint endlich freundlich.

Wilde Kraftnaturen der Renaissance

Zur gleichen Zeit mausert sich Erasmus zum Starautor, auch wenn er neben den „wilden Kraftnaturen der Renaissance und der Reformation“ (Stefan Zweig) mickrig wirkt. „Nirgends ein Zug vordringender Kühnheit“, salbadert Johann Caspar Lavater, laut Zweig, über Erasmus. Der Gelehrte tauge noch nicht Mal zum Märtyrer. Zweig spricht von einer allseits bekannten „Charakterschwäche“. Morgen mehr.