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2024-01-22 12:40:56, Jamal

“Walk the simple path, becoming neither cocky with victory nor broken with defeat, without forgetting caution when all is quiet or becoming frightened when danger threatens.” Kanō Jigorō

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© Jamal Tuschick

Hermetische Höflichkeit

Azita G., eine Frankfurterin mit kurdisch-iranischen Wurzeln, ist durch und durch Kampfsportlerin. Sie lebt Budo. Kein Tag ohne Training. Azita erweitert ihr Repertoire in Lehrgängen. Sie ist die Frau in der Highend-Version eines Trainingsanzugs, mit der monströsen Umhängetasche und Jumbowasserflasche, die ihre Wochenenden in Vorstadtturnhallen verbringt, um bei Welt- und Großmeistern oder sonst wie hervorstechenden Nahkampfkoryphäen totsichere Messerabwehrtechniken zu lernen. Azitas Interesse an spirituellen Gewinnen ist verflogen. Die geistige Dimension, der erzieherische Wert, die Persönlichkeitsschulung wurden zu Begriffen im Nebel. Azita quält die Befürchtung, das wahre Karate in Deutschland zu verpassen. Da ist niemand so wie die fliegenden Tiger in ihren Träumen. Um sicherzugehen, bucht sie ein Jahr Karate in einem Dōjō am Fuß des Kumotori im Okuchichibu-Gebirge. Nagai Shihan unterrichtet Kyokushin Karate. Er bewahrt das Erbe des Stiertöters Ōyama Masutatsu. Azita weiß schon, dass Bewahrung in Japan ein Wert an sich ist. In den Bergen walten Kräfte, die nicht in die Welt expandieren wollen. Karate ist ein Vehikel (eine Auslegung) des Japanisch-seins.   

Das Ausländer-Menü

Azita kriegt das Ausländer-Menü. Das gilt auch für den Inder Anil, den US-Amerikaner Bruce und den Brasilianer Ousembè. Freiwillige Isolation ist eine japanische Spezialität. Die Abschließung Japans vollzog sich in einer Serie außenpolitischer Arschtritte. Seit den 1580er Jahren schränkte das Tokugawa-Shōgunat die Verkehrsfreiheit der als Südbarbaren geschmähten Portugiesen und Spanier ein. 1635 verloren alle Japaner ihre Reisefreiheit. Von 1639 bis 1853 blieb man unter sich und behielt die mittelalterlichen Standards bei.

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Wie ein Landschulheim am Wandertag besuchen die Novizen unter meisterlicher Aufsicht einen der ältesten Badeorte des Landes. Mit seinen heißen Quellen diente Arima Onsen (Onsen bedeutet heiße Quelle) der kaiserlichen Familie lange als Sommerfrische.

Der antike Hotspot liegt in den Bergen über Kōbe. Es gibt Suppe für alle, jemand übersetzt für Azita: testicale soup. Für die Praktizierenden im engsten Kreis um Nagai Shihan behält Gültigkeit, was ein chinesischer Mönch im 17. Jahrhundert am Vorabend seiner Erleuchtung unter einer Birke laut Überlieferung gemurmelt hat. Nachahmung erscheint ihnen erstrebenswerter als Originalität. Sie rücken von Überkommenem auch dann nicht ab, wenn es keine Lösungen mehr bietet. In einer Tradition zu stehen, ist für sie das Höchste. Kritische Äußerungen sind das Letzte. Azita ist zwar nicht daran gewöhnt, die Klappe zu halten, hält sie aber trotzdem.