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2024-01-24 15:33:52, Jamal

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© Jamal Tuschick

Giftige Materialien

Opas Härte vertrug sich mit Empfindlichkeit. Er erlebte Momente der Verstörung im Kontakt mit giftigen Materialien, die nicht nur gedankenlos in Möbeln verarbeitet worden waren, sondern ihm in einem Gipfelsturm der Ignoranz auch noch als Sitzgelegenheiten angeboten wurden. Er setzte sich auf keinen Plastikstuhl. Jede stromführende Leitung musste sich einen Meter von seinem Kopf entfernt befinden. Er wohnte herrschaftlich, meine kindliche Weltauffassung gab den Räumen die Dimensionen von Hollywood.

Das Herrenzimmer, in dem ein Kamin bis heute nicht fertig gemauert ist, kann stromfrei geschaltet werden. Ein rotes Licht zeigt das futuristisch an. Seit über dreißig Jahren wird die Wohnung als Lager genutzt, Staub begräbt den Schick einer anderen Zeit. Der Geist des alten Zauberers materialisiert sich im leuchtenden Schalter. Der Geist zeigt sich in meinen Robotern. Ich halte neun Patente rund um die Produktion. Nachts blinkt, leuchtet und schilpt es auf der Fabrikationsebene wie in Blade Runner. Ich finde meine Bilder und Antworten im Popcorn Kino und in Hitparaden. Walt Disney und die Beatles - in meinen Träumen verbindet sich die Lyrik von Liedern mit meinem Leben.

Ich erinnere eine Kinderangst im menschenleeren Maschinenraum. Meine Kinder zeigten die gleiche Angst, solange sie klein waren. Zwei verweigerten sogar die Treppenhäuser in stillen Stunden. Ich verstehe das. Kinder sind Sehende, die Fabrik ist für sie eine Unterwelt. Für mich ist sie der Zauberkasten, in dem Einlagen, Sohlen und Normalität produziert werden.

Da ich für alles die Verantwortung trage, bin ich auch an allem schuld. Das erste Schuldpaket bekam ich vor der Geburt zugestellt. Nach meiner Zeugung gab es für die Beteiligten keinen Weg zurück in die Freiheit einer Trennung. Ihr Leben hörte auf, einen eigenen Beat zu haben. Sie kehrten in die Unmündigkeit der Kindheit zurück, sie wurden verheiratet. Ihr Einverständnis war keine Voraussetzung. Auf der einen Seite übernahm Opa die Regie und auf der anderen Seite die nicht weniger absolutistische Mutter der Schwangeren. Man stellte die Schwangerschaft als Unfall dar. Solange sie die Chance hatten, mich als einen Aspekt der Zukunft nicht wahrhaben zu müssen, spielten alle Theater.

Ich war ein unerwünschtes Kind. Es machte einer Frau das Leben schwer. Ohne mich hätte das Leben meiner Mutter auf Schauplätzen einer kleinstädtischen Gesellschaft leicht sein können. Es gab keine Premiere oder Vernissage zwischen Fulda und Würzburg, zu der die Familie nicht eingeladen wurde. Meine Zeugung beendete die Party. Dazu erzogen, ein schönes Bild abzugeben, überwacht Mutter ihre Figur wie eine Fremde, die sich in ihre Verhältnisse gedrängt hatte. Sie verbarg die Schwangerschaft. Vom Mieder gestrafft, wurde sie vorstellig bei Kunden, die keinen Anlass sahen, Mutter alles Gute zu wünschen.