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2024-01-25 16:13:21, Jamal

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© Jamal Tuschick

Kein Himmel für Höhenflüge

Die ersten Kampfhandlungen waren kaum alarmierend. Ab und zu mal ein Schusswechsel oder eine Detonation weit weg. Ein Viertel verlor seine Durchlässigkeit. Die Topografie wurde abenteuerlich. Zwei bewegten sich nach den Spielregeln der Liebe aufeinander zu. Alima tarnte ihre innere Unabhängigkeit mit religiösen Symbolen. Sie emanzipierte sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es gab keinen Himmel für ihre Höhenflüge. Alles musste sich heimlich vollziehen. Wie dann auch der Abschied.

Auf Mykonos endete die Europareise erst einmal in einem Lager. Ein dänischer OneWorld-Aktivist schleuste Alima und Said in die Freiheit. Said bezeichnet den Helfer als Passeur - Fährmann. Er wäre lieber nach London gegangen, aber Alima fühlte sich von Merkel herzlich eingeladen.

Alima und Said sitzen im Konferenzraum, syrische Akademiker, die im Sog der Willkommenskultur im Merkelland gestrandet sind. Ich beschäftige sie als Produktionshelfer. Etwas anderes habe ich nicht für sie. Ab und zu verbringen wir eine Kaffeepause gemeinsam, zur Erweiterung meines Horizonts.  

Alima und Said sind viel zu höflich, um mir meine Provinzialität vor Augen zu führen. Said ist in England zur Schule gegangen. Er liebt den englischen Nebel und die Zauberstimmungen keltischer Landschaften. Er hat schon früh gelernt, alles für vorläufig zu halten. Ich flüchte vor meinen Allgemeinplätzen in die Rolle des guten Zuhörers.

Said wirkt auf mich nicht besonders unternehmungslustig. Alima ist die treibende Kraft. Sie prüft die Lage und guckt, was geht. Ich bemühe mich um einen weichen Übergang, in Anbetracht der Tatsache, dass sie weiterarbeiten muss, während auf mich nach dem Mittagessen mein Kajak wartet. 

*

Es gibt Gulasch. Die Geschäftsführung isst unter der Woche gemeinsam zu Mittag, um sich in der Vermeidung von Groll und Ausbrüchen zu üben. Mein Bruder und seine Frau halten eine Seite besetzt. Katrin und Rolf bedienen sich gegenseitig mit verlogener Aufmerksamkeit. Sie machen passiv-aggressiv Front. Solange sie mich gegen sich haben und sich über Silvi erheben können, müssen sie sich nicht gegenseitig anfallen.

Silvi nennt mich ihren Mann. Sie suggeriert jedem Kellner, sie sei meine Frau. Sie träumt von geordneten Verhältnissen wie andere von einem Urlaub in der Karibik. Ich kann sie nicht heiraten. Ich ertrage es nicht, noch jemanden für so bewaffnet halten zu müssen, dass er meinen Laden schließen könnte, um mich zu bestrafen. Rolf droht unterschwellig ständig damit, Mutter tat es einmal.  Auch meine Ex-Frau spielt auf dem Klavier meiner Verpflichtungen das Lied vom Tod der Firma. Ich habe Marion das Blaue vom Himmel versprochen, sie aus ihren Verhältnissen gelockt, zur Erfüllung meiner Sehnsüchte und Einzigartigkeitsphantasien herangezogen, drei Kinder mit ihr in die Welt gesetzt und sie schließlich doch ersetzbar gefunden. Marion redete lange von Bestimmung, wenn unsere Ehe auf dem Prüfstand einer Besprechung stand. Heute gehorcht sie nur noch der Einsicht, dass sich eine geschlachtete Kuh nicht melken lässt.

Nach der Scheidung wurden mir die Instrumente gezeigt. Ein Notar brachte die Eisen zum Glühen. Der Experte verkündete, dass fortan von jedem Euro aus der Fabrik fünfzig Cent Marion gehörten. Seine brillant verschleppende Art erinnerte mich an Charles Laughton als Verteidiger Sir Wilfrid in Zeugin der Anklage. Der Film basiert auf einer für das Theater dramatisierten Kurzgeschichte von Agatha Christie und entwickelt seine Handlung stellenweise zermürbend langsam. 

Ich fand mich schwach in der Verteidigung. Ich war so vor den Kopf geschlagen, dass ich meinen Büroleiter anrief und ihn bat, mich abzuholen. Vielleicht wäre ich sonst gegen einen Betonpfeiler gefahren.  Auch Marion rief nach Verstärkung, selbst im ausgebluteten Zustand war ich noch das Schwein.

Ich schwankte zwischen Mord- und Selbstmordgedanken. Der Brückenpfeiler als Moment der Erlösung erschien mir gnädig. Mein Angestellter aß mit mir Eis auf einer verlassenen Sommerpromenade. Ich sehnte mich schmerzhaft nach meinen Kindern. Keinen Augenblick gelang es mir zu vergessen, dass ich den Mann bezahlte, letztlich auch für den Beistand. Er hatte den Chef noch nie so neben der Spur erlebt. Meine Schwäche verunsicherte ihn. 

Tage später erschien Marion, schön wie Rosenrot, in meiner Wohnung. Jahre zuvor hatte ich sie dahin verschleppt und keinen ihrer vorausschauenden Einwände gelten lassen. Marion brachte mir eine CD zurück, die ich nicht vermisst hatte. Blue Sugar von Zucchero. Sie trug das Haar wieder lang nach einer Bob-Phase. 

Marion wusste, dass sie keine ersetzen konnte. Ich hatte von ihr etwas bekommen, dass sie einem anderen nicht mehr geben konnte - ihren Glaubens an die Liebe. Ich war ihr Prinz gewesen und sie meine Prinzessin. Diesen Schatz sahen wir beide nicht immer. Stress brachte Streit. Marion zog mit den Kindern nach Schlitz, das Fahrpensum nahm zu, die Entfremdung wuchs mit der Entfernung. Marion blieb mir gegenüber lange aufgeschlossen.  

Aus Zuneigung wurde Abneigung. Vertrautheit schlug ohne Ankündigung in Verachtung um. Die Verachtung sprach sich in den Kindern heftiger aus als in Marion, die dann auch jemanden fand, der sie richtig zu schätzen wusste. Bald wird sie mit ihm länger zusammen sein als sie es mit mir war. Das schwächt die Fama einer schicksalhaften Verbindung zwischen uns. Ich halte mich trotzdem für den wichtigsten Mann in Marions Leben.

Auch das ist wahr. Meine Kinder haben mich öfter zum Weinen gebracht als meine Frauen. Sie sind inzwischen fünfzehn, siebzehn und achtzehn. Ich verglich sie in allen Entwicklungsstadien mit mir, so wie ich mir in Erinnerung geblieben bin. Ihre Entwicklungen helfen mir, mich zu verstehen.