Diktatur der Bäume
Die Tangotänzer sind da. Ihre Musik kommt aus einem alten Radiorekorder von Nordmende. Das weiß Wayne so genau, weil der Rekorder ihm gehört. Die Tänzer treten festlich auf. In der Nacht sehen Denkmäler im Park wie erstarrte Lebewesen aus. Wir sind alle nur Möglichkeiten füreinander. Überall werden Verabredungen getroffen, als müsse sterben, wer nichts vorhat. Wayne bemerkt Paulas Sohn im Flutlicht der Boulespieler. Die Boulespieler sind unnachgiebig in ihren Gewohnheiten.
Der kostbarste Augenblick des Abends hebt seine Lider.
Die Tänzer schwelgen auf einer sinnlos betonierten Fläche. Ein Einkaufswagen wird über den Platz geschoben. Wayne träumt von einer Diktatur der Bäume. Die Sorgfalt der Abstände. Vor Jahrhunderten in Reihen gepflanzt und jetzt stehen sie ganz groß da.
Der Wagen klingelt vom Leergut.
Wayne beobachtet Paula, sie bemüht sich, glücklich zu erscheinen. Er war mit Paula in der Anstalt (Musterschule). Ihr Vater war da Lehrer. Er hielt sich für einen unterschätzten Intellektuellen. Er scharte Jünger um sich, ambitionierte Schüler.
Paulas Mutter las mit, wenn eine Romanverfilmung im Wohnzimmer geguckt wurde. Ihre Ansichten zu Bölls Ansichten eines Clowns wurden missachtet. In ihren Dreißigern trat sie als Winnetous Schwester auf. Sie verkörperte Uschi Glas zwischen Nscho-tschi & Apanatschi.
Plateauschuhe, Schlaghosen, Polyesterhemd. Föhnfrisur. Flokati. Frascati. Pril-Blumen auf den Kacheln im Klo. Schwindelerregende Spritpreise, in Zahlen siebzig Pfennige pro Liter. Über Fahrrädern wehten Fuchsschwänze. Paulas Mutter kam früher als andere auf den Trichter der Fertiggerichte. Die Gerichte schmeckten eine Weile interessanter als die gute Hausmannskost mit ihren braunen Soßen. Die Mutter berücksichtige Vorlieben beim Einkauf. Die Rücksicht erstreckte sich auf Paulas Freunde. Sie konnten sich darauf freuen, bei Paula daheim das zu kriegen, was ihnen gerade am besten schmeckte. Wayne erinnert grenzenlose Vorräte, Großzügigkeit, Geselligkeit, Gespräche, Interessengemeinschaften, Theaterbesuche in großer Besetzung. Paulas Eltern traten auf mit ihrem Tross. Filmabende, Vorträge im Wohnzimmer. Paula kommt zu Wayne an den Tisch und verlangt eine Zigarette. Ihre Nägel sind abgekaut. Ihr Sohn spurtet über den Strand, es ist viel zu spät für ihn. Wahrscheinlich hat Said seine Mutter stundenlang im Blick behalten.
„Erinnerst du dich noch an die getrüffelte Kirschquarkcreme im Café Heidinger am Merianplatz?“ fragt Paula. „Die hat der Heidinger gar nicht selbst gemacht. Die kam aus dem Blindenheim in der Adlerflychtstraße.“
„Gut zu wissen“, antwortet Wayne, Hölderlin wanderte durch die Heide zum Adlerflycht Hof, einst war der Adlerflucht Hof ein aristokratischer Sommersitz.