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Fremde Vertrautheit

Ganz am Anfang und doch schon im Herbst, die Äpfel sind längst aufgeschüttet, sagt Karolin eine feiste Spur zu feierlich: „Überrasch mich ab und zu mit etwas Schönem. Das weiß ich sehr zu schätzen.“ Wayne besucht mit ihr den Imbiss in der Zeiselstraße, ein italienisches Ehepaar, er finster-freundlich mit Sacco & Vanzetti-Schnauzer, sie hymnisch-krakeelend, schmeißt den Laden ligurisch. Sofort wird Karolins Name zum Begriff, die Wirtin ruft ihn aus der Küche: „Karolin, möchtest du deine … lieber mit ... oder ohne?“

Karolin sagt: „So viel Aufmerksamkeit kriege ich selten.“ Wayne kennt so viel Aufmerksamkeit bereits aus dem Geburtsvorbereitungskurs seiner Mutter, und im Terrence Tino ist noch jede seiner Freundinnen begutachtet worden. Er schenkt Karolin Wein ein und weiß nicht, was er denken soll. Die Wirtin schreit: „Tanja möchtest duuu …?“ Sie schlägt sich auf den Mund, erschrocken von ihrer Unachtsamkeit. Wayne und Tanja aßen bald jede Woche einmal im Terrence Tino, oft vor einem Zug durch die Gemeinde. Der Fauxpas realisiert an einem Totalisator banaler Einsichten, wie grau-vertraut in diesem Vexierspiel mit wechselnden Personen Tanja als Waynes Freundin dem Quartierspersonal war.

Karolin lächelt die fremde Vertrautheit weg. Sie möchte gerade alles bis hin zum Pfeffer aus der übermannshohen Mühle, einem Erbstück und einer Rarität und trotzdem voll funktionsfähig, wenn auch nicht praktisch. Sie schlägt sich den Bauch voll und sagt ja zum Grappa als Digestif. Erstmal noch mehr Alkohol, zuerst in der Weinstube an der Eckenheimer Landstraße. Eine Hegemanngründung im Besitz der Nordend GmbH. Das erklärt Wayne gewohnheitsmäßig, er wiederholt sich gern. Karolin versteht nicht, warum sie das interessieren soll. Und wozu der explizit kurze Abstecher in die Gaststätte Klaus und nicht gleich ab ins Bett, von ihr aus auch mit Bembel und Trompeten. Ab und zu sagt Karolin etwas außer der Reihe, zum Beispiel sagt sie: „Muskeln werden enerviert und werden sie das nicht, ist Atrophie die Folge.“ Wayne kann sich nicht merken, was Karolin früher schon alles gemacht hat. Das war schließlich nicht im Nordend. Also, was solls?

*

Viel zu viel Milch ist in dem Milchkaffee, den Hans Hegemann persönlich schäumt, noch verquollen vom Feierabend, der vorhin erst zu Ende gegangen ist. Die Frühschicht schon wieder zu spät. Der launisch-mürrische Hinweis darauf, läuft auf die Vorformulierung einer Kündigung hinaus, in vorsichtiger Vorläufigkeit. Wayne winkt ab. Wie öde ist die Gastrokack-Endlosschleife. Wayne will noch schnell einen Blick in die taz werfen. 

Es wissen alle, die im Nordend von gestern sind. Wenn die Zeit gekommen ist, dann steht Wayne in der Burgkelter. Das alte Betriebsfleisch, die Erben und Professoren und die vor der Rente stehenden Angestellten in ihren besten Jahren wissen das. Ihre Verdrängung nehmen sie kaum wahr. Die Abwärtsbewegungen in der Nachbarschaft haben aber ihre Genauigkeit.