© Jamal Tuschick
Weicher Fels
Der König (bürgerlich Michael Weber) isst mit dem Gesinde(l) zu Mittag. Er matscht die Kartoffeln in die Soße. Er schmatzt vor Behagen und Unachtsamkeit. Er hat ein Alkoholverbot für seine Knechte ausgesprochen, deshalb trinkt Mandelstam Malzbier. Es steckt Entmündigung darin, der Geschmack eines fremden Willens, der beherzt aufreitet. Für Mandelstam ist das eine Ungerechtigkeit. Er zählt sich zu den Vorgesetzten in der Burggaststätte. Zu seiner Legende gehört die Geschichte von der knapp verpassten Geschäftsführerschaft. Mandelstam war nie als Geschäftsführer vorgesehen, Wayne weiß das aus erster Hand. Er zapft ein Bier für sich, er untersteht dem König nicht. Er keltert nur aus Spaß an der Freude.
Mandelstam ist ein weicher Fels und Knapp-vorbei-Mann bei allen Hauptrollen, die im alten Nordend zu vergeben waren. Alt in der Perspektive von Vierzigjährigen. An der Vergangenheitsform lässt sich nicht rütteln. In der Gegenwart dieser Geschichte sind alle Verfehlungen endgültig. Paula maust als Reinigungskraft vorbei. Ein alter Lieferant wirft Last ab. Der Greis hantiert am Burgbuffet, der „Kommandobrücke“. Von da hat man „die Welt“ im Blick. Wer mehr für möglich hält, ist ein Spinner. Wahlweise eine Spinnerin. Grundsätzlich sind alle Frauen, die für ihren Lebensunterhalt so arbeiten müssen wie Paula, Verdächtigungen ausgesetzt.
Über der Burg zieht sich der Himmel zu. Der König spricht mit Mandelstam über Kühlschränke. Der Sonnenuntergang des Abendlandes ist beschlossene Sache im Fleischwolf des gesunden Volksempfindens. So geht es zu in der Welt. Und anders geht es nicht. Die Welt besteht aus einem Schankraum und einem Saal. Sie besteht aus Gängen, Zufahrten, Randzonen, Abstellkammern, Kühltruhen und Katakomben. Wayne kehrt zurück zu den ungarischen Äpfeln, die nach hessischer Landschaft duften, so abgerundet und weichgezeichnet wie die Wetterau.
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Es hängt fast nichts an ihnen und nichts hängt von ihnen ab. Da sind keine Kinder und keine hinfälligen Eltern, deren Versorgung belastet. Sie haben nur ihre Leidenschaften und ihre Vorurteile.
Karolin beschreibt Kapitulationsgebärden ihrer Mutter im Keller, wo sie für die Tochter Würste von Haken nahm. Sie macht die Mutter nach. Wenn sie die Eltern besucht, fährt Karolin immer noch einmal zum Bahnhof von Ribnitz-Damgarten, um sich daran zu erinnern, wie es war, mit dem letzten Zug anzukommen.
Karolin zeigt Fotos. Manche Ex-Freunde sind weggeschnitten oder übermalt. Karolins Liebesroutine geht über viele Unterscheidungen hinweg, die Wayne macht. Es war immer ein Mann da, Karolin war immer verliebt, aber nicht immer in den Mann, der da war. Günstig war, wenn der Mann aus einer erschöpften Verbindung kam und Karolin von seinem Selbsterneuerungswillen erfasst wurde. Häufig war der Wunsch, noch einmal mit Sport anzufangen. Oft gehörten zu dem Wunsch neue Laufschuhe. Einer, den Karolin als Fels in der Brandung erlebt hatte, beging Selbstmord.
Auch das war ein weicher Fels, denkt Wayne.