© Jamal Tuschick
Ugly Casting
Für dauerhaft gelten kurze Fristen. Wer zwölf Monate durchgehalten hat, kriegt einen Traditionswimpel ins Fenster gestellt, das ist Karolins fünfte Einnahmequelle. Als Malteserengel gibt sie am Cityring Methadon ab und nimmt Urinproben an. Sie wacht über die Dinosaurier im Senckenberg Museum, hilft im Steinweg Seniorenstift, jobbt in der Burggaststätte und verteilt die Traditionswimpel von Unsere Stadt soll schöner werden und Einkaufen im Kiez. Die Vereine geben Rabattmarkenhefte aus, das ist der letzte Schrei. Rabattmarken sind todschick. Der geilste Schnickschnack.
Karolin stellt Wimpel in Pils- und Frisör-Stuben mit piefigem Pfiff. Sie platziert die Staubfänger auf Umschlagplätzen für gebrauchte Tonträger. Sie verläuft sich auf der Suche nach Steffi‘s Ugly Casting Agentur und entdeckt den Laden in einem Hinterhof am Sandweg.
In einem Bassin dümpeln Seerosen. Es gibt das Klappstuhlensemble und den kaputten Grill und eine Begrünung, die sich im Herbst dramatisch färbt. Das Geschäft mit dem Foto, das sogar dich reich und berühmt macht, übt enorme Anziehungskraft nicht nur auf die massiv Gepiercte aus, die keinen Zweifel daran hegt, dass ihr Karriereglück in der nahen Zukunft wie in einem Überraschungsei steckt. Stoisch erwartet sie den Kamerablitz im Vorraum. Steffi nimmt den Nachwuchs so mit, ihr Hauptgeschäft ist die Vermittlung von in Perückenbenutzung versierten Rentnerinnen mit Spaß an krauser Performance. Steffis Star ist Willie, die Wirtin aus dem Vorderhaus. Willi ist Darstellerin aus Passion; Typ Marianne Sägebrecht.
Zurzeit sieht man Willie überall auf Plakaten, eine Lingerie-Walküre mit einer Schwäche für fußballverrückte Wertpapierhändler - Hool-Broker, ein Fach für sich und echt nur mit dem Gütezeichen Made in Great Britain. Die durchgeknallten Engländer, Schotten und Waliser schreien ihren Siegeswillen an Willies Tresen heraus. Ihr Sport ist Rugby. Manchen reicht es mit der Trainingstasche in die Kneipe zu kommen.
Steffi kommt aus dem Vordertaunus und ist stocksolide. Alles Verrückte prallt an ihr ab. Umgehend nimmt sie Karolins Kontaktdaten in ihrer Datei auf.
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Karolin sagt etwas gegen das Nordend, dass viel zu bestimmt klingt, um auf ihrem Mist gewachsen zu sein. Sie behauptet, Kunst sei Konzentration, und Wayne fragt sich, woher sie das hat. Das Paar isst Nudeln mit Kapern und Oliven in Tomatensoße im Café Wunderbar. Karolin wundert sich über sinnlose Aussparungen in den Wänden. Wayne kauft dem Rosenverkäufer eine Rose ab. Im Augenblick gilt sein stärkstes Interesse Personen mit gezupften Augenbrauen und Anstecknadeln in den Brustwarzen. Einer sagt: „Wenn es um die Familie geht, kennst du keine Verwandten.“
Andere unterhalten sich über Glamour und Kahlschlag in einer Frisur. Viele Sätze bleiben unvollendet. Karolin hat schon wieder ihre Tage, es ist zum Mäusemelken. Sie muss zum Pilates, ihren Platz nimmt ein älterer Anzugträger in fiebriger Erwartung ein. Wayne ist gespannt, auf wen man so intensiv warten kann, wenn man erst einmal über vierzig ist.