Transmittergewitter
„Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene den Menschen alles, wie es ist: unendlich.“ William Blake
Auf Instagram las ich “I decide my vibe - Ich bestimme meine Stimmung“; sprich, ich entscheide, wie ich mich fühle. Aber, was ist ein Gefühl?
„Wir wissen alle, was eine Emotion ist, bis wir gebeten werden, sie zu definieren.“ Jan Plamper
David JP Phillips weiß, dass wir dazu in der Lage sind, mit Gedankenkraft unsere Gefühle zu steuern - und zwar „vor allem mit Hilfe sogenannter Neuromodulatoren“. Der Autor konzentriert sich auf sechs körpereigene Substanzen, die sich zumindest theoretisch so kombinieren lassen wie Cocktailingredienzien. In Rede stehen Dopamin, Serotonin, Oxytocin, Noradrenalin, Testosteron und Endorphine.
Das bekannteste Beispiel für das von Phillips ins Zentrum seiner Betrachtungen gerückte Phänomen ist das Läuferhoch.
Endocannabinoide oder Endorphine
Da die im Blut ausgeschütteten Endorphine die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können, lösen sie auch nicht jene Effekte aus, die als Runner‘s High populär geworden sind. Vielmehr geht die Wissenschaft inzwischen davon aus, dass Endocannabinoide den internalen Rausch auslösen.
David JP Phillips, „High on Life: Du bestimmst, wie du dich fühlst. Mit körpereigenem Dopamin, Serotonin, Oxytocin und Co zum Erfolgsglück auf Knopfdruck“, Knaur, 234 Seiten,16.99 Euro
Phillips verspricht: „Indem du die sechs Werkzeuge anwendest, kannst du dir deine Urkraft zurückholen, deine natürliche Lust an den richtigen Dingen.“ Er versteht sein Buch als Bedienungsanleitung, und so lese ich es auch. Wir sitzen an der Bar des Lebens und mixen uns den Cocktail, der uns heiter stimmt und das Glück an einem erreichbaren Horizont aufscheinen lässt. Es gibt so etwas in Aldous Huxleys Evergreen „Schöne neue Welt“; eine Droge namens „Soma“, leicht euphorisierend, leicht narkotisierend.
Vorderhand dreht sich alles um die Reproduzierbarkeit der Substanzen-Kompositionen und um die Verlässlichkeit ihrer Wirkungen. Wer bis zur Metaebene aufsteigt, begreift wie er mit Hilfe der Neuroplastizität sich regelrecht umbauen kann; so dass er fortan auf einem höheren High-Level existiert.
Phillips illustriert seinen Wegweiser zum Glück mit Steinzeitszenen. Das neolithische Repertoire ist das modernste, was wir haben. Es konkurriert mit sehr viel älteren Verhaltensbausteinen. Alle Reaktionen des Körpers haben genetische Wurzeln, die Milliarden von Jahren zurückreicht. Sobald wir die thermoneutrale Zone verlassen, dreht sich alles um die Wiederherstellung der Homöostase.
Fast alle genetischen Varianten haben ihren Ursprung in evolutionären Ereignissen lange vor dem Beginn unserer Menschheitsreise.
Phillips Steinzeitproband startet mit dem Dopaminkick. Der Kick mobilisiert den Akteur. Auf der Ideallinie sorgt Dopamin für angenehme Empfindungen in der Selbsterhaltungspraxis. Die Stimulation beginnt mit einer Erwartung und kulminiert in der Belohnung für eine Anstrengung etwa bei der Nahrungsaufnahme. Plötzlich reduziert sich die Neurotransmitterfrequenz. Das erhöht gleich wieder die Bereitschaft zur Aktivität in Richtung Vorsorge und Vorratswirtschaft.
„Während sich unser Belohnungssystem in den letzten 25000 Jahren nicht verändert hat“, unterscheidet sich unsere Umwelt fundamental von den Verhältnissen, die für unsere Ahnen bildbestimmend waren. Das Angebot an unserem inneren Tresen richtete sich ursprünglich an ein Publikum, das jeden Kick mit großen Anstrengungen, wenn nicht mit Entbehrungen bezahlte. Heute sind solche Genussprisen im Dutzend billiger zu haben. Wer sich das nicht klar macht, läuft Gefahr, eine ungesunde Toleranz zu entwickeln.
Phillips Favorit ist der Botenstoff Oxytocin. Bereits Blickkontakt kann zur Ausschüttung von Oxytocin führen. Ich finde, das ist ein magisches Momentum des Humanen; dass ein Mensch ein anderes Lebewesen mit einem Blick, einer Geste oder einem Wort einnehmen kann.