© Jamal Tuschick
Eingeflogener Firmennachwuchs
Karolin kippt Prosecco aus Valdobbiadene ab, Wayne hat Karolin noch nie Prosecco trinken sehen. Die XXL Consulting Group bespielt morgens um elf das saalgroße Hinterzimmer der Burggaststätte. Ihre „Kernkompetenz“ besteht darin, „neue Technologien zu bewerten“. So steht es geschrieben auf einem Wisch. Das Unternehmen feiert sich selbst, eine Botschafterin der guten Laune hält die Ansprache. Eine TV-Nase verspricht eine halbe Stunde voller Gefühle. Leitende Herren stehen grundsätzlich im Weg. Mit erpresserischer Süße verkaufen Engel Lose. Nicht erkennen lässt sich, ob die schwebenden Geschöpfe eingeflogener Firmennachwuchs sind oder in Frankfurt gemietet wurden. Managerinnen in Frontkostümen schreien Karolin an. Wayne ätzt zurück, die Managerinnen verachten ihn sturzbachartig. Der König (Burgwirt) verwarnt Wayne, er verlangt Unterwerfung von Karolin. Sie eskaliert lautlos, während der Burgherr eine Schleimspur bis zu den Bassinrandschwimmern in der Firmenleitung zieht.
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Montagnachmittag kommen die Patienten zu Grete ins Schwarzburg 84, Fünfzigjährige, die Wasser trinken. Hinter ihnen liegen Ehen und Krankheiten, an denen man sterben kann, und das Gefühl der Unverwüstbarkeit. Die Männer waren früher gut beieinander, man ahnt es noch. Sie bekleideten Posten. Sie sind nun ausgesteuert. Das sagen sie so. Sie arbeiten nicht mehr, abgesehen von Willi, der Taxi fährt, weil er das braucht. Willi erfüllt besondere Aufgaben in der Gemeinschaft. Er vermittelt zwischen den Patienten und den Gesunden, die man sich sonst verächtlich vom Hals hält. Die Patienten separieren sich an der Nebelbank, prosaisch Tisch 4, wo sie ihre Krankengeschichten durchhecheln von den frühen Symptomen über das Stadium der Ungläubigkeit nach den Diagnosen, den vergeblichen und den hilfreichen Operationen bis zu den ersten und den sich daran anschließenden Erlebnissen der Invalidität, die sie zu Kennern der Materie und der Wartezimmer gemacht haben, so wie zu Spezialisten der Fernsehprogramme, zu gewieften Zeitungslesern und umsichtigen, jede Veränderung ihrer Umgebung skeptisch aufnehmenden Spaziergängern. Alle Patienten teilen die Erfahrung, plötzlich nichts mehr zu melden gehabt zu haben. Die Entfremdung von den Kollegen, der widerwillige, von ihnen selbst angestaunte Eintritt in die Invaliditätssphäre, gleicht dem Verlust der bürgerlichen Rechte. Der Prozess wurde von Hoffnungen unterbrochen, kurzfristigen Übergängen auf die andere, lange immer noch vertrautere Seite … und von späten Kämpfen. Inzwischen ist man klüger. Man rechnet mit nichts mehr, was sich ernsthaft als Verbesserung beschreiben ließe. Man diskutiert vielmehr die Tagesform. Man ist froh, schmerzfrei sitzen zu können. Man ist Betrachter der Gestalter und des Gestalteten.