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2024-02-24 14:25:56, Jamal

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In den 1980er Jahren © Jamal Tuschick

Verschwiegener Lustgewinn

Schließlich geht es nur noch darum: wach zu sein mit Schmerzen, die leicht unerträglich werden, oder unterzugehen im Medikamentenschlummer nah der Bewusstlosigkeit.

Das Leben am Rand des Todes geizt sogar mit Illusionen. Valerie notiert ihre letzten Reinfälle in der Folge vorsichtiger Hoffnungen. Ein Tumor greift sie an, ihr zerstörtes Rückgrat wurde mit Zement geflickt. Der sarkomen Gier entreißt Valerie eine Geschichte vom wilden Tier Tod. Unter dem Druck andauernder Schmerzen, klärt sich das Bewusstsein im Wahnsinn - und so stellt Valerie mit verschwiegenem Lustgewinn (bei gleichzeitiger Trauer) fest, dass zwei ihrer ärgsten Feindinnen überraschend vor ihr gehen mussten. Dass ferner ihr ewig alerter Ehemann bereits vor drei Jahren starb, bleibt unfassbar. Und jetzt auch noch - völlig überraschend - Valeries letzter Liebhaber. Valerie nimmt dem Toten ihre eigene Unbekümmertheit übel. Die vorgetäuschte Leichtigkeit des Verführungsspiels beim viel zu späten Anfang. Das erscheint Valerie nun unsäglich peinlich. Dass sie sich noch mal gezeigt hat. Zu beinah allem hätte es niemals kommen dürfen, in Anbetracht ihrer akuten Verwundbarkeit.

*

Anton Steinbrechers Auftritt verspricht großspurige Gutsherrlichkeit. Wer käme auf die Idee, dass dieser schneeweiß ergraute Langhaarige in seinen butterweichen Reitstiefeln kein studierter Grandseigneur ist, sondern ein Elektriker mit fünfjähriger Volksschulbildung.

Die Werkzeugkammertür steht auf. Anton will nach dem Rechten sehen und tappt beim Übergang von gleißender Hitze zu kühler Schwärze erst mal im Dunkeln. In einem Adaptionsvorgang weiten sich die Pupillen. Anton bemerkt ein unerwartetes Geschehen an der Werkbank.

Getrieben von ratloser Verlegenheit flüchtet Antons in flagranti mit seinem Enkel Keno ertappte Lieblingstochter Veronika in die Küche ihrer Eltern. Sie klebt am Schoß der Familie, egal wie sie sich dreht und wendet. Im verwaisten Fernseher schubsen sich fette Ringer. Schwerfälligkeit paart sich mit Beweglichkeit. Zwanghaft analysiert die sportlichste der sieben Steinbrecher-Schwestern den Gegensatz. Sie reagiert körperlich auf die athletischen Leistungen anderer. Sofort richtet sie sich auf. Sie macht sich gerade und nimmt gegenüber dem Bildschirm Haltung an. 

Ihre Eltern lassen den Küchenfernseher von morgens bis abends laufen. Kein Mensch weiß wieso. Veronika registriert ausgeflockten Jogurt in einer Schale auf der Anrichte. Geronnenes Eiweiß. Die Denaturierung löst einen überraschend starken Widerwillen aus. Wie schon als Kind wehrt sich die promovierte Archäologin gegen den Ekel mit halb gesungenen Silbenkombinationen, die keinen Sinn ergeben. Der Tonspur folgen Erinnerungen an das Milchhäuschen in Schöneberg, und an die großen Blechkannen, die der Milchmann im Messerschmitt Kabinenroller ausfuhr.