Ekstatischer Kirchenkosmos
Männer von seinem Schlag seien „so stark und hart im Nehmen (gewesen) ... dass sie dazu neigten ihre eigenen Wünsche mit Gottes Willen zu verwechseln“. Das kolportiert Jonathan Eig über Martin Luther King Senior. Der Vater des Nobelpreisträgers war wohl Reverend von eigenen Gnaden. Er entfaltete sich in einem ekstatischen Kirchenkosmos. Er gab sich den Namen, nach einem Besuch in Deutschland und am Ende eines langen Namensfindungsprozesses. So brachte er seine Bewunderung für den streitbaren Reformator zum Ausdruck. Denken Sie daran, wie Stefan Zweig Luther charakterisierte:
„Für den ekstatischen Mönch … ist jeder seiner Gegenredner schon ein Sendling der Hölle, ein Feind Christi, den auszutilgen Pflicht ist, während dem humanen Erasmus von Rotterdam selbst die tollste Übertreibung der Gegner höchstens ein mitleidiges Bedauern abnötigt.“
Zweig konturierte Luthers Gestalt dramatisch. Er sah „den dämonisch Getriebenen dumpfer deutscher Volksgewalten. Mit einem Schlage zertrümmerte Doktor Martins eiserne Bauernfaust, was die feine, bloß mit der Feder bewehrte Hand des Erasmus zaghaft zärtlich zu binden sich bemühte“.
Jonathan Eig, „Martin Luther King. Ein Leben“, aus dem Englischen von Sylvia Bieker, Henriette Zeltner-Shane, DVA, 742 Seiten, 35,-
Die Rede ist von „volksrevolutionärer Handfestigkeit“. Auch Eig stellt zu Beginn seiner Biografie fest, dass Martin Luther Kings gewaltloser Widerstand keinesfalls mit Sanftmut verwechselt werden dürfe. Die institutionalisierte Entrechtung Schwarzer in Amerika erzwang strategische und taktische Varianten, die den vulkanischen Untergrund der Bürgerrechtsbewegung überspielten. Der Emanzipationsimpetus und die gebotene Radikalität verbargen sich nicht selten im Kirchenvokabular. Viele Zukunftsweichen wurden auf Kanzeln gestellt. Das religiöse Repertoire im Spektrum von Sendung, Auftrag und Mission gab Gleichberechtigungsforderungen einen versöhnlichen Anstrich.
„Der N… hat einen speziellen Auftrag von Gott erhalten.“ Benjamin Mays
MLK erkennt früh „die zentrale Bedeutung der Kirche im Leben von Schwarzen Menschen“. Er wächst einigermaßen privilegiert in der Black Baptist Community von Atlanta auf. Er singt in dem von seiner Mutter geleiteten Chor. Zügig tritt er in die Fußstapfen des Vaters, zweifellos mit dem Gefühl, berufen zu sein.
„Ich erkannte, dass Gott mir eine Verantwortung auferlegt hatte.“
Morgen mehr.