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2024-02-27 11:10:43, Jamal

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In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick

Der Siegeszug der Leichtbauweise

In den 1960/70er Jahren verzweifelten die Kommunen am Bedarf und besserte im Containerstil nach. Die Kinderrepublik Westdeutschland platzte aus allen Nähten. Jeder Hort war überfüllt. Überall bildeten sich Schlangen. Pensionierte Handarbeitslehrerinnen wurden reaktiviert, um in den Freigehegen der Bildungsreform die Grenzen ihrer Leidensfähigkeit kennenzulernen. Das war egal, hatten doch die Zukunftsfähigen die beste Zukunft aller Zeiten vor Augen. Die Renten waren sicher und das Gesundheitswesen war kostenlos. In der Brandt-Ära erreichte der deutsche Wohlfahrtsstaat das skandinavische Niveau. Im Erfolg von Ikea offenbarte sich jene Ästhetik zwischen Prosperität und Pazifismus, die zur Epochensignatur avancierte. Helmut Schmidt begriff sich als Vorsitzender der Deutschland AG. Das war zunächst eine dem nationalistischen Pathos widersprechende Distanzformel, die sich dann aber verselbständigte.

„Ende der Neunzigerjahre wurde die Deutschland AG zerschlagen.“ Ein informelles Konsortium kollabierte. Mit ihm „verschwand das ausbalancierte und konsensorientierte Modell des rheinischen Kapitalismus … an seine Stelle trat das Diktat des Shareholder Value.“

Der Niedergang von Mannesmann war das Menetekel.

Daran erinnert Daniel Goffart in seiner Bilanz „Das Ende der Mittelschicht. Abschied von einem deutschen Erfolgsmodell“. Die Zitate stammen aus diesem Buch. Goffart sieht uns auf dem Grat einer Zeitenwende. Was sich von der Vergangenheit in die Gegenwart gerettet hat, ist von Disruption bedroht.

Opfer der Ungleichzeitigkeit

Für die Generation Container ist das auch deshalb kurios, weil ihre Eltern unter umgekehrten Vorzeichen Vermögensbildung betreiben konnten: nach den Regeln eines moderierten Verteilungskampfes, mit denen der Klassenkampf vereitelt wurde.  

Am Ende dieser Evolution kämpft sich jene Schicht in den Untergang, deren Vorgänger: innen für ein Reihenhaus am Stadtrand dem Kapital den Rücken einst freihielten. Schon damals schmolzen Bastionen des Handwerks wie heute Gletscher schmelzen. Ich erinnere an das Hauruckende der Drucker:innen mit der Einführung des Offsetdrucks. Zehn Jahre später waren die Sekretärinnen in den Redaktionen weg. Man sah sich dann noch manchmal in den Kneipen. Die im Krieg geborenen Helgas und Monikas rauchten durch die Bank und saßen jede vor einem persönlichen Aschenbecher wie aufgereiht am Tresen. Sie hatten in Trümmern geträumt, ihren Helmut oder Wolfgang in Weiß geheiratet, Babyboomer:innen in die Welt gesetzt und in Frottee gehüllt, Einzüge in Fertighäusern gefeiert und SPD gewählt. Sie zählten sich zum Mittelstand.

Sie waren die ersten Opfer des „digitalen Tsunami“.