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2024-02-29 21:04:37, Jamal

„Wir können jemanden jederzeit unwiderruflich ausschalten.“ J. Edgar Hoover im Gespräch mit Lyndon B. Johnson

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„Die Erfahrung des Schwarzen mit der weißen Welt kann in ihm keinen Respekt für die Normen wecken, nach denen die weiße Welt zu leben vorgibt.“ James Baldwin 

Eine Reise ans Ende der amerikanischen Nacht

Die Leuchtfeuer der Bewegung - „Open wide the Freedom Gates“ - 1949 gründete eine Professorin für Englisch am Alabama State College in Montgomery, Alabama, das Women‘s Political Council. Die Weigerung der Afroamerikanerin Rosa Parks, ihren Platz im Bus einem Weißen zu überlassen, führte erst zu ihrer Festnahme und dann zu einem Boykott der Busse. Der Schwarze „Busboykott von Montgomery“ startete 1955 das Civil Rights Movement. Ein Motor dieser Bewegung war die Southern Christian Leadership Conference (SCLC). Diane Nash war eine Freedom Rider der ersten Stunde und Dorothy Irene Height organisierte u.a.Wednesdays in Mississippi. Sie schuf Anlässe, bei denen Frauen unterschiedlicher Hautfarbe und Religion aus dem Norden Frauen aus dem Süden trafen. Die Aktivistinnen lebten die Hoffnungen von Millionen auf Gerechtigkeit, die Martin Luther King als The Voice of Black America 1963 in Worte fasste, indem er der Welt von seinem Traum erzählte: I have a dream

Jonathan Eig, „Martin Luther King. Ein Leben“, aus dem Englischen von Sylvia Bieker, Henriette Zeltner-Shane, DVA, 742 Seiten, 35,-

Zu den unbesungenen Heldinnen in Kings innerem Kreis zählte Dora McDonald, Jahrgang 1929. Von 1960 bis 1968 amtierte sie als Dr. Kings persönliche Sekretärin. Hautnah erlebte sie die Höhepunkte einer epochalen Karriere; die Zuerkennung des Friedensnobelpreises, den March on Washington 1963 - Die größte Kundgebung, die Amerika je sah, war eine Schwarze Performance. Joan Baez sang We Shall Overcome and Oh Freedom. Bob Dylan antwortete mit When the Ship Comes In und Only a Pawn in Their Game. MLK sagte seinen berühmtesten Satz. In den Augen des FBI-Granden J. Edgar Hoover machte ihn sein sendungsstarkes Charisma zu Amerikas „gefährlichsten N…“

„Hoovers Ziel war es … den Wilden … wie er King nannte, zu vernichten.“

Die Sprengkraft der Worte eines Predigers entfaltete ihre Wirkung über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus. Seine Persönlichkeit wirkte magnetisch. In jeder Menge, die sich wegen ihm formierte, erkannte MLK jene Frauen, die sich auch sexuell von ihm angezogen fühlten. Seine eigene Frau forderte der Fremdgeher zum Fremdgehen auf. Kings Empfänglichkeit für Avancen entging dem FBI nicht.

„Über einen Zeitraum von siebzehn Monaten … machte das FBI in fünfzehn Hotelzimmern Aufnahmen von King, und Hoover hörte sich alles an.“ Dies geschah in Absprache und auch auf Veranlassung mit Justizminister Robert Kennedy, der nach der Ermordung seines Bruders dem vormaligen Vize-Präsidenten Lyndon B. Johnson in einem gegenseitigen Abneigungsverhältnis unterstand. Johnson betrachtete den Ausgespähten als indirekten Wahlkampfhelfer. Nach außen musste der Präsident jedoch Distanz zu dem N…-Führer wahren, um nicht breite Wählerschichten zu vergraulen.

Schließlich bezeichnete der FBI-Chef MLK als „Amerikas notorischsten Lügner“. Dorothy Cotton, die mächtigste Frau des SCLC, „sagte, sie habe King zum ersten Mal weinen sehen“, als ihm Hoovers Invektive hinterbracht wurde. „King habe Hoovers Äußerungen als Angriff auf sein gesamtes Lebenswerk empfunden.“

Die Effizienz des gewaltfreien Widerstandes ergab sich nicht zuletzt in einer weichen Verschiebung von Grenzen. Das waren Interventionen, die auf die Mitte einer Gesellschaft zielten, die noch unmittelbar vor der Ratifizierung des Civil Rights Acts von 1964 komplette Integrationsverweigerungsmodelle beispielhaft werden lassen konnte. In Florida wurde MLK nur einmal verhaftet. 1964 weigerte sich der Restaurantbesitzer Jimmy Brock den Nobelpreisträger und Mann des Jahres zu bedienen. In seiner Nebenfunktion als Hilfssheriff arrestierte er MLK. Dies geschah in St. Augustine, der ältesten durchgehend besiedelten, europäisch basierten Stadt auf dem amerikanischen Kontinent. Sie wurde 1565 von Pedro Menéndez de Avilés gegründet.

Die St. Augustine-Bewegung verbindet sich vor allem mit dem Namen des Zahnarztes und WK-II.-Luftwaffenoffiziers Dr. Robert Hayling. Er leitete die Ortsgruppe der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), die sich gegen extreme White-Supremacy-Militanz behaupten musste.   

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Dora McDonald erlebte auch das Ende des Überlebensgroßen. Nach Kings Ermordung informierte sie die Witwe Coretta King.

In den Tagen vor seiner Ermordung im April 1968 versah MLK seine Todesahnungen mit den Ventilen dunkler Andeutungen. Er war dem weißen Establishment so gefährlich geworden wie vor ihm kein Schwarzer Repräsentant. MLK verkörperte eine Revolution, die sich im wachsenden Schwarzen Selbstbewusstsein offenbarte. Alle Versuche, das Rad zurückzudrehen, und der Segregation eine neue Widerstandskraft einzuimpfen, scheiterten seit Jahren wie am Fließband. Amerikas weiße Fürsten steckten in einer Klemme. Auf der einen Seite drückte der Vietnamkrieg und auf der anderen Seite das Schwarze Empowerment. Die Kräfte der Restauration, die in den 1950er Jahren triumphiert hatten, erlahmten.

James Earl Ray (1928 - 1998) widerrief bis zu seinem Tod Jahrzehnte ein Geständnis, das ihn zum Mörder von Martin Luther King erklärte. Seine vom Gericht festgestellte Einzeltäterschaft trug dazu bei, expressive Fraktionen der Bürgerrechtsbewegung in der zivilgesellschaftlichen Spur zu halten.

„Unter dem fordernden Vergrößerungsglas der Erinnerung“ erkennt der Mörder des Volkstribuns Martin Luther King eine trostlos-lächerliche Relation von Anmaßung und Unzuständigkeit. Antonio Muñoz Molina beschreibt in „Schwindende Schatten“ eine schattenlose Existenz, der die Substanz für Tragik fehlt. Den Schriftsteller interessiert nicht, ob James Earl Ray allein verantwortlich war für die Tat, die ihm zur Last gelegt wurde.

“In March 1997, one of Dr. King's two sons, Dexter Scott King, went to Nashville to meet with Mr. Ray and told him that the family believed in his innocence.” Lawrence Van Gelder 1998 in der New York Times

„Das, was 1962 auf dem Campus von Ole Miss geschah, war ein Krieg zwischen dem Staat von Mississippi und den Vereinigten Staaten.“ James Meredith

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„Als Schwarzer in Mississippi war ich 1960 ohnehin ein Toter auf Urlaub … Ein toter Mann braucht nicht viel Mut.“ James Meredith

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„Ich habe in einem Krieg gekämpft. Ich habe mich selber vom ersten Tag an als im Krieg betrachtet. Und mein Ziel war es, die Bundesregierung in eine Position zu zwingen, in der sie Militär einsetzen musste, um meine Bürgerrechte durchzusetzen.“ James Meredith

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“The Mind is the primary weapon. Everything else is just a means to an end (Mittel zum Zweck). When the body fails the mind takes over. When the mind fails the spirit takes over.” Gerry Chisolm

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„Das Feuer, das Martin Luther King ... entfacht hatte, sprang von Ghetto zu Ghetto, entfachte soziale Energie und schweißte N... aller Schichten zu einer Masse der Empörung zusammen.“ Lerone Bennett Jr.

Soziale Energie

„Das ist nicht einfach so passiert. Ich hatte alle großen Werke über die westliche Welt gelesen.“

Sein Anlauf währt zehn Jahre. So lange übt James Meredith die staatsmännische Attitüde, mit der er in die Geschichte eingehen will. Zugleich soll ihn die gravitätische Pose vor direkten Übergriffen bewahren. Er orientiert sich an einem Heerführer, der sich von seiner Truppe absetzte, um nach einer Eroberung dem Publikum das Schauspiel eines solistischen Einzugs zu gewähren.

Nichts überlässt Meredith dem Zufall. Beim Showdown auf dem Campus der Universität von Mississippi passt dann auch alles. 

Wikipedia weiß: „Am 1. Oktober 1962 wurde Meredith der erste dunkelhäutige Student an der Ole Miss. Seine Einschreibung, die Gouverneur Ross R. Barnett verhindern wollte, führte zu Gewalt auf dem Oxford-Campus.“

Meredith rechnet mit Ausschreitungen. Er will die Vereinigten Staaten als Verfassungsgarantin gegen die im Bundesstaat Mississippi parallelgesellschaftlich agierende White Supremacy in Stellung zu bringen. Der Aktivist will das Rassistenregime mit der „Macht der amerikanischen Militärmaschinerie zerschmettern“.

Zitate aus Susan Neimans „Von den Deutschen lernen“

„In das Herz der Bestie“ soll ein Pflock getrieben werden. Meredith will einen Coup landen und die Nationalgarde auf dem Campus sehen, als er sich an der Ole Miss einschreibt. Die bloße Wahrung seiner Bürgerrechte lässt den ersten Schwarzen Studierenden an der Universität von Mississippi bereits „berüchtigt“ erscheinen Die Gazetten titeln: Ole Miss Riot on … Die Ausschreitungen auf dem Campus ließen (Konjunktiv) den Bürgerkrieg wiederaufleben.

Zum Autor

Jonathan Eig, geboren 1964, ist Journalist und Bestsellerautor. Er schreibt als Reporter für Sonderthemen für das Wall Street Journal, zuvor war er unter anderem für die New York Times und Esquire tätig, als Autor verfasste er Bücher über die Baseballstars Jackie Robinson und Lou Gehrig – für die New York Times eines der besten Sportbücher überhaupt – sowie über Al Capone und die Erfindung der Antibabypille. Zuletzt erschien bei DVA seine Biographie von Muhammad Ali unter dem Titel »Ali. Ein Leben«. Sein Buch über Martin Luther King, die erste große Biografie des einflussreichen Bürgerrechtlers seit 30 Jahren, wurde bei Erscheinen in den USA begeistert aufgenommen, stieg direkt auf die Bestsellerliste der New York Times ein und wurde u.a. als »definitive Biografie des legendären Vordenkers« (Esquire) mit »der erzählerischen Kraft eines Thrillers« (The Washington Post) hochgelobt. Jonathan Eig lebt mit seiner Familie in Chicago.