Brissago - Blick auf den Lago Maggiore © Jamal Tuschick
Verstaatlichte Villa
Tief in Transsilvanien liegt ein Flecken am Fuß der Karpaten, den die Erzählerin (vermutlich heißt sie Marianne) lediglich K. zu nennen bereit ist. Jene Bukarester und Kronstädter, die Ferienhäuser in der Gegend besitzen, erklären K. zum Dorf. Die Einheimischen sprechen aber trotzig von einer Stadt. Im Kreis der erweiterten Familie verbringt die Erzählerin die alljährige Sommerfrische am Waldsaum von K.: in einer verstaatlichen Villa. 1989 kehrt der marode Prachtbau in Familienbesitz zurück. Man räumt den Ausstattungskitsch der Ceaușescu-Ära beiseite oder deckt ihn ab; angewidert vom hohlen Pomp; der Signatur eines kolossalen Niedergangs.
Den gesellschaftlichen Verwerfungen zum Trotz glückt Marianne eine tadellose Kindheit und Jugend. Sie absolviert das Höhere-Tochter-Programm. Einmal gesteht sie ihre Faszination für Prinz Pfahl - Kazıklı Bey. So nannten die Osmanen den rumänischen Aristokraten Graf Dracula aka Fürst Vlad der Pfähler.
Im nächsten Durchgang des verbürgten Geschehens erscheint Marianne als graduate student in Amerika. Zum ersten Mal erlebt sie den Frühling in Syracuse. Sie ertüchtigt sich gemeinsam mit einer Barbekanntschaft. Der Militärbiologe Clark liebt die letzten Wochen vor der vollen Vegetationsentfaltung. Während die beiden im Park Yoga und Tai Qi praktizieren, rezensiert Clark die Sensationen der Blüte. Er registriert sämtliche Valeurs der Farbexplosionen. Gleichzeitig reagiert Clark auf eine historische Spur, die sich durch Syracuse zieht. Die 1839 gegründete Stadt im Bundesstaat New York wuchs über eine französische Missionsstation des 17. Jahrhunderts - und über eine Salzsieder-Siedlung hinaus. Zwei ihrer vorstädtischen Namen - Salt Point und South Salina - rühren daher. Im 19. Jahrhundert wirkte sich die (auch mit John Ruskin assoziierte) Arts-and-Crafts-Bewegung auf Syracuse merkmalsbildend aus. Die Kunst-am-Bau-Spielart rührte von einem doppelten Abwehrreflex. Sie opponierte gleichermaßen gegen die industrielle Revolution und den imperialen Biedermeier des viktorianischen Zeitalters. Die Arts-and-Crafts-Künstlerin Adelaide Alsop-Robineau verbrachte ihre letzten zwanzig Lebensjahre folgenreich in Syracuse.
Marianne und Clara gründen eine Familie. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten löst Jahrzehnte später in ihrer Umgebung Schockwellen der Empörung aus. Das Paar schließt sich einer Gruppe von Trump-Gegnern an. Die meisten Aktivisten sind Babyboomer. Von Jüngeren werden sie als Verursacherinnen allen Weltelends betrachtet. Kund tun sie das im Brustton der Überzeugung. Marianne staunt über den Rigorismus von Leuten, die so alt wie ihre Kinder sind.