„Was für ein Wahnsinn, ihr wirklich zu sagen, woran ich dachte.“ Stendhal, „Rot und Schwarz“
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„Sie war nicht mutig, doch immer stärker als ihre Angst.“ Eine Bemerkung, die mit einem Fragezeichen Isaak Babel zugeschustert wird.
In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick
Vorgetäuschte Entrückung
Aus einem mit Kopfsteinpflaster verniedlichten Oval ragt eine Stele. Ein Protegé von Therese hat das Werk verbrochen. Der Künstler ist in der weiten Welt vollkommen unbekannt. Interessanterweise fordert sein Beitrag zur Moderne im öffentlichen Raum keinen Bürgerunmut oder jugendlichen Vandalismus heraus. Es gab keine Verschönerungen, die entfernt werden mussten.
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Olm erweitert den Kreis vor dem Café Arkana. In Zusammenarbeit mit dem Modelleisenbahner und Hobbyfotografen gestaltet Therese den Heimatkalender Landliebe. Er zeigt Landkreisbewohner (Leute wie du und ich) verwegen zwischen Tür und Angel einer restaurierten Backstube, auf dem Traktor oder vor ihrem Misthaufen mit Forke, neckisch über eine Schulter lächelnd oder plump in Gummistiefeln.
Therese selbst hat sich auf einer Eisenbahnbrücke mit traumhaften Brückenbögen im Zustand vorgetäuschter Entrückung fotografieren lassen.
Olm ist seit seinem vierzehnten Lebensjahr in der freiwilligen Feuerwehr aktiv. Als Thereses Hoffotograf hat sich der Spanner neu erfunden. Er verkörpert jetzt eine um sich greifende Persönlichkeit, nach Jahren, in denen sein Leben geschlossen hatte wie ein Edeka am Sonntag (in den 1970er Jahren). In den Heftchenromanen vom Bahnhofskiosk kamen seine Vorlieben nicht vor.
Rausch als Antwort auf die Erfahrung Einsamkeit. Der Kneipenklospruch Auch Arschgeigen können zart besaitet sein als Gratiseinsicht. Olm stand noch nicht einmal das Volkshochschulvokabular für seine Wünsche zur Verfügung. Saß er mit der Mutter vor dem Fernseher, dachte es mörderisch in ihm: die Alte hat Schuld. Sie hat das Monster zur Welt gebracht.
Alles war alt. Die Decken, das Sofa, der Fernseher. Das Haus, die Fensterläden, der Aufgang. Alles sah so aus, als wäre es schon immer alt gewesen. Auch die Mutter sah so aus. Ihre Liebe gab sich nicht zu erkennen. Dabei hätte einen die Mutter doch wenigstens lieben müssen, wenn sie sonst schon nichts für einen tun konnte.
Therese hat Olms Vorlieben legalisiert. Das ganze Jahr durchforstet Olm den Landkreis auf der Suche nach Modellen für den Kalender. Der innere Schmierlappen verbirgt sich perfekt. Olm riecht nach Rasierwasser, seine Frisur ist von Meisterinnenhand. Molina Beretta, Enkelin eines Geschäftsfreundes von Luciano, gibt der erfolgreichen Integration ein Gesicht. Sie führt den Salon Latin Lover in der Frankfurter Straße.
Ohne Voranmeldung geht nichts. Als Kunde muss man sich hochdienen, Geduld haben und Zeit mitbringen. Wer bei Molina ein Stein im Brett hat, darf vorbeischneien, sich nach dem Befinden der Familie erkunden, einen Caffè trinken, eine Zigarette im Laden rauchen und sich endlich Molinas Gestaltungswillen ergeben.