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2024-05-04 08:28:17, Jamal

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In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick

Erotische Hartplätze

„(In einer Notlage) geht es darum, das einzigartige menschliche Potential zu bezeugen, das darin besteht, eine persönliche Tragödie in einen Triumph zu verwandeln.“ Viktor Frankl, zitiert nach Christopher Wallis

Nichts bleibt haften vom Eröffnungsvortrag der Kraichhainer Filmfestspiele. Adem schleust Silvi in Therese Gersters Bahnhofsgalerie. Da hält die Crème de la Crème Abstand zum Volk. Ein Lied weht Adem an, Carly Rae Jepsens “I Really Like You”. Es könnte sein Lied des Jahres werden.

Die Festspiele sorgen jedes Jahr für einen Aufstand. Den zugezogenen Besserverdienenden bleibt unbegreiflich, dass nur unbekannte Schauspielerinnen und Regisseure zum Zug kommen und das hochtrabende Elend dann auch noch von wahnsinnigen Feuilletonisten mit Relevanz gepimpt wird. Da findet ein Kulturkampf statt. Auf der eine Seite verbohrt sich Therese, unterstützt von ihrer bürgermeisterlichen Tante Sarah Gerster. Reaktionäre ü70-Revolutionäre, die alles feiern, was spießige Neubürger die Wände hochgehen lässt, geben der Gerster-Gang Flankenschutz. Die internationalen Gäste lassen auf sich warten, aber die lokale Prominenz ist komplett am Start, um allen klarzumachen, wo, wer und was oben ist in diesem Winkel der Republik. Sarah G. greift Silvi mit einem freundlichen Wort unter die Arme, Adems Lebensabschnittsgefährtin bewegt sich auf dünnem Eis. Sie fürchtet, dass ihr Kleid den falschen Eindruck erweckt.

Adem entdeckt Hanna. Er seilt sich von Steffi ab und schneidet Hanna den Weg zur Bar ab. Die beiden verbindet nicht nur eine wiederbelebte Körperfreundschaft. Am liebsten würde Adem Hanna auf der Stelle aus dem Verkehr ziehen, um intim mit ihr zu verkehren. Eine schwüle Brunst treibt ihn an. Irrlichternd taucht er vor Hanna auf. Adems doppelbödig-anzügliche Galanterie verheißt nichts Gutes. Der diskrete Charme der Bourgeoisie fällt nicht in sein Fach. Die unglücklich Verheiratete fürchtet eine unangebrachte Begrüßung. Was Silvi übrigens auch nicht weiß, Adem sah letzte Woche in einem Frankfurter Kino A World Beyond gemeinsam mit der studierten Tänzerin Hanna, die im Zauberkasten ihr Auskommen als Produktionshelferin gefunden hat; nach Jahren der künstlerischen Überspanntheit, fragt man denn Adem. Hanna und Adem surften in den 1990er eine Weile gemeinsam auf der Eurodance-Welle mit einer Vorliebe für erotische Hartplätze.

Damals schlüpfte Adem nach und nach in die Rolle eines Mannes, der Erwartungen erfüllt, um Enttäuschungen zu vermeiden. Hanna ermutigte Adem, aus seinem Schneckenhaus der schamhaften Förmlichkeit herauszukommen. Hannas unprätentiöse Art gefiel Adem. Trotzdem war klar, dass Hanna für die Rolle der Traumfrau nicht geeignet war. Zum Schluss erzähle ich etwas, dass Adem nie jemandem erzählt hat. Auch mir nicht. Ich habe es herausgehört. Wenn Adem als junger Mann zum ersten Mal Sex mit einer Frau hatte, duschte er danach nicht. Er konnte willkürlich Sex haben, emotionale Klarheit erlangte er jedoch erst in einer post-koitalen Klärung. Das olfaktorische Urteil gab den Ausschlag.

Hanna roch bloß nach einer Affäre.