Die Lust am Monströsen
„Mit Beginn des 19. Jahrhunderts ist in der Realität das Gleichheitspostulat der Geschlechter aufgehoben.“ Hans Mayer
Kant ging von der „gegenseitigen Nutzung der Geschlechtsorgane“ in einem Ergänzungsverhältnis aus. Dem egalitären Ansatz begegnete die Französische Revolution mit neuen Differenzierungen. Die napoleonische Bourgeoisie etablierte ein System der Ungleichheit. Folglich wandelte sich die Ikonografie. Die Bastille-Stürmerin dankte ab. Nach ihr demissionierte die Intellektuelle und endlich die elegant-korrupte Personnalité d‘affaires. Hans Mayer illustriert den Prozess der Anti-Egalisierung mit den Beispielen von Théroigne de Méricourt, „der Amazone der Französischen Revolution“, „die den Zug der Pariser Frauen nach Versailles anführte“, der involvierten Intellektuellen Jeanne-Marie „Manon“ Roland de La Platière aka Madame Roland, sie starb unter der Guillotine, und schließlich mit der postrevolutionären Kurtisane Jeanne Marie Ignace Thérésia Cabarrus, genannt Madame Tallien. Ihnen folgte Joséphine de Beauharnais, die als „erste Kaiserin der Franzosen … keinen Anteil am Männerwerk im Krieg und Frieden eingeräumt (wurde)“. In ihrem Schicksal offenbarte sich das von Mayer breit konstatierte Scheitern der bürgerlichen Aufklärung. Die Aufklärung versagt, so sagt es Mayer, vor ihren Außenseiterinnen.
„Mit Beginn des 19. Jahrhunderts ist in der Realität das Gleichheitspostulat der Geschlechter aufgehoben.“
Die bürgerliche Familie konstituierte sich im Herrschaftsgefälle. Im „Lied von der Glocke“ besingt Schiller die „züchtige (nimmer ruhende, für die Wäsche zuständige) Hausfrau“. Greift sie denn zu militärischen Waffen, entsagt sie der Weiblichkeit.
Die Schiller’sche Heroine handelt soldatisch um den Preis ihrer Weiblichkeit. Die „unweibliche Frau“ erschien im bürgerlichen Diskurs ebenso wie im bürgerlichen Drama des 19. Jahrhunderts als Antagonistin der „domestizierten Gattin“. Überall traten armierte Dramenheldinnen auf, während die Gegenaufklärung um sich griff. „Natürlich“ erschien Kleist „das bewusstlose Magdtum“ des Käthchens von Heilbronn im Dienstverhältnis zu ihrem „hohen Herrn“.
„Da findet nun die Urteilskraft zuerst, dass der Mann nicht bloß der Mann seiner Frau, sondern auch noch ein Bürger des Staates, die Frau hingegen nichts als die Frau ihres Mannes ist … die Frau hingegen keine anderen Verpflichtungen hat, als Verpflichtungen gegen ihren Mann … das Glück des Mannes hingegen der alleinige Gegenstand der Frau ist.“ Kleist 1800 an Wilhelmine von Zenge
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Hans Mayer erklärt auch Frauen zu Außenseitern der bürgerlichen Gesellschaft. Den Einstieg verkleidet er rhetorisch: Der „Übertritt in Abseits“ mag Titanismus (Don Juan), einem Pakt mit dem Teufel (Faust) oder Gehorsam (Jeanne d’Arc) geschuldet sein; doch was, wenn ihn „die Geburt auferlegt“?
Mayer schlägt einen Bogen von der höfischen Melancholie zur bürgerlichen Menschenfeindlichkeit. In der Misanthropie erkennt er gesteigerte Melancholie. Um zwei Ecken findet Mayer eine Auflösung hin zur Innerlichkeit.
„Auch die bürgerliche Menschenfeindlichkeit präsentierte sich … als innerer Vorbehalt des Geistes und des Herzens.“
Seit dem Mittelalter übertraf die Bluttat der biblischen Judith alle Skandale, mit Frauen in den Hauptrollen. Der Überschreitungsfuror paarte sich mit dem Darstellungseros und eskalierte in der „Wollust des Monströsen“. Judith schlägt nicht nur Holofernes den Kopf ab. Sie schlägt auch Prinzessin Salome im Ranking der gemalten Erzählungen rund um den Themenkreis weibliche Kaltblütigkeit und Tötungsbereitschaft.
Ich weiß nicht, wie oft ich das Haupt des Holofernes/Judith köpft Holofernes an der Wand einer als herausragende Sehenswürdigkeit ausgewiesenen Kirche gesehen habe. Die Künstlerinnen und Künstler des Mittelalters und der Renaissance gewannen der Judith-Saga noch größeren Reiz ab als Salomes - mit dem Kopf des Johannes belohnter - Tanz.
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Beschworen Verbrechen die Rache des Himmels herauf, erfolgte die Ahndung nach dem Sacratio capitis.
„Eine Art der Bestrafung, die bis in die frühen Tage des römischen Staates zurück reicht … mit dieser Formel wurde der Verbrecher zum Geächteten erklärt … sodass er von jedermann ungestraft getötet werden konnte.“ Meyers Konversationslexikon
Hans Mayer exponiert den weitgehend vergessenen Doppelcharakter von sacré/sacer - sakral/geweiht, aber auch verflucht. Das Heilige war vor seiner christlichen Eingrenzung „den Göttern geweiht und mit einer unauslöschlichen Befleckung behaftet, erhaben und verflucht, verehrungswürdig und abscheulich“. Émile Benveniste
„Sehet, dies ist das Haupt des Holofernes, des Feldmarschalls der Assyrer, und sehet, das ist die Decke (das Mückennetz), darunter er lag, als er trunken war. Der Herr hat ihn durch die Hand einer Frau erschlagen.“ Buch Judith 13,15
Luther arbeitete sich an Judiths Ermächtigung ab. Nach seinen Begriffen verkörperte die Legendäre „das jüdische Volk“ und Holofernes den „Prophanus dux / vel gubernator / Heidnischer / Gottloser oder vorchristlicher Herr oder Fürst / Das sind alle Feinde des Jüdischen volcks.“
Zitate aus Hans Mayer, „Außenseiter“, Suhrkamp