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2024-06-19 20:03:43, Jamal

© Jamal Tuschick

Art déco des Post-Beat

Eine Erinnerung an 1997 - Als ich einmal Walter Hartmann nachts auf der Hanauer Landstraße traf

Morgens um eins, die Stadt dunkel erst seit drei Stunden, geht Kötter zu einem Kollegen und läßt mich allein. An einem Tisch vor seiner Küchenkneipe. Ich habe noch ein Getränk, der Mond spielt hinter einer Esse verstecken, kaum Kühle webt sich zur Luft. Gut war auch In the mood vom Glenn Miller’s Orchestra und diese anderen Sachen aus den Vierzigern, du weißt, was ich meine, der Big Band Bar Sound, zu dem Fotografen redeten, während ihre Geländewagen auf dem Asphalt weideten. Eine Kunst & Kohleschiene führt vor Ort, und wer auf dem Trip ist, der spricht leise, mein Freund, und hat eine Assistentin mit nem Motorroller. Nun sind alle weg, ich warte auf das Bild, mit dem ich heimgehen kann, eine Ansicht aus der urban jungle-Kiste, die Gott für mich aufgeklappt hat. Ein Wagen schleicht an, die Scheinwerfer werden ausgeknipst wie Augen geschlossen werden; dieses Blitzartige des Lidfalls mit rauschenden Wimpern. Die Scheibe versinkt im Schlag. Ich erkenne Walter Hartmanns Jim Jarmusch-Kinokopf. „Is´ hier noch was?“

„Siehst du das nicht.“

Er steigt aus, um meine Antwort zu prüfen. Die nächtliche Weitläufigkeit der aufgelassenen Brauerei, die meine Sinne mit Glückskupfer patiniert, hat er überall immer schon gesehen. Ich deute auf ein Karree aus mächtigen Kastanien, im Teer eingesperrt, der ruhende Schornstein, der darüber wacht. Er hebt die Schultern. Dass Künstler hier arbeiten, ist klar. Ich führe ihn zu einem Haus, das Tag und Nacht offensteht. Wie eine verwehte Fährte, weisen verglühte Teelichte im Treppenhaus (steckengeblieben im Rohbaustadium) auf eine heimliche Vergnügungsavantgarde, die Frankfurter Rückseiten belebt. Einen schnellen Schritt schneller als stets die Kameraden. In einer Halle steht allein ein Barhocker, so’n edles Lederteil mit Lehne. Davor liegen Notenblätter. Verfall arrangiert antike Schrauben und getretene Büchsen auf dem Beton zu einem Ensemble ermatteten Materials.

„Ist das gut?“ frage ich wie ein Gastgeber. Und so fühle ich mich auch. Ich bin ein Gastgeber der Frankfurter Nacht.

„Das ist gut,“ sagt Hartmann.

Er muss es wissen. Eine Signatur des literarischen Underground der deutschen 1970er und 1980er Jahre trägt seine Handschrift. Sein Einfluss auf die Szene überliefert ein Raunen. Hartmann will davon nichts hören. Er habe nur seinen Kommentar abgegeben zu einer vorgefundenen Bildsprache. Die Achtung der Gemeinde beschweigt er, immer dazu aufgelegt, andere zu loben.

„Denk an Rygullas (Anthologie amerikanischer Lyrik) Fuck you (1968) mit dem Wahnsinnscover und diesem vollkommen neuen Sound. Das war eine Tat.“

Hartmann ist der von Skrupeln gedrängte, akribische Handwerker unter den Freaks, die erstmals in den 1960er Jahren auf junge amerikanische Literatur mit Adaptionen reagieren. Seine Arbeit zieht eine Spur durch Magazine und Publikationen mit Privatdruckcharakter. Manifestationen einer Pop-Ästhetik, deren literarischen Verästelungen nie populär waren. Nicht durchsetzen konnte sich ihr Witz gegen die Gedichte der Wichte und Instant-Troubadoure in Statttzeitungen. Die Angeleinten und Marktgehorsamen, die lieber bei Handke abschrieben, schöpften allemal in hellerem Licht.

Eine archaische Linie, nicht weit von Höhlenmalerei, durchzieht die grafischen Systeme, mit denen Einzelne und Gruppen sprühend Aufmerksamkeit erheischen. Ein aufgesplitterter, an zahllose Sprechfäden gehängter, sich immer neu fokussierender Stimmenfächer antwortet den Zeichen. In einer kalten Januarnacht des Jahres 1980 malte Hartmann auf eine frisch geweißte Wand ein ominöses Haupt und schrieb in „sauberen, 40 cm hohen Blocklettern“ The Koma Kid Smiles dazu. Der Satz stammte von Jörg Fauser. Später tauchte er als Graffiti im Hamburger Karolinenviertel auf. Man fand den Spruch in Klotüren geritzt.

Flaschenzugapplikationen an putzlosen Wänden. Hier macht höchstens mal ne kleine Ratte aus Lustigkeit Luftsprünge. Als wäre ich einmal um meine Achse gewandert, bin ich unversehens dort wieder angelangt, wo ich als vierzehnjähriger Gasolin 23-Leser Endstücke des Beats zu etwas Spätem zusammenbastelte. Das Underground-Periodikum liefert ein gutes Beispiel für Hartmanns durchgreifende Gestaltungskraft. Die inzwischen antiken Ausgaben der Gasolin 23 dokumentieren hoffentlich bis in alle Ewigkeit, dass kein anderer als Hartmann mit seinen Layouts dem deutschen Underground das graphische Gesicht gegeben hat. 

Exkremente, Flaschen, Blutspuren, Stoffhaufen. Die Epoche spannt Bögen zwischen James Dean und Cyperpunk. Aber bei den Veteranen nickt der Drogengebrauch dem 19. Jahrhundert zu. Er führt zu Edgar Allan Poe und Thomas De Quincey. Man operierte an der Bewußtseinsfront so ungerührt wie die Vorfahren bei der Erschließung Nordamerikas. Hartmann erzählt von alten Briefen, in denen William S. Burroughs die Freunde von Herbert Huncke warnt. Der Denunzierte geistert durch die Elaborate der Beatpioniere. Er bestahl jedermann, um die Beute in Heroin umzusetzen. Für einen Story-Band Hunckes gestaltete Hartmann das Cover. Es zeigt die New Yorker Skyline über einem Junkie. Im Hamburger Pudelclub erlebte er den Autor auf der Bühne. „Der alte Hipster, ein Knochen von über siebzig, entfaltete enormen Charme. Nichts schien in ihm zerbrochen.“ Jemand stellte Huncke den Layouter vor: „This guy did the cover.“

Hunckes Replik: „I’m more than a junkie.“

Jemand: „Yeah, a junkie and a half.“

Tatsächlich setzte Herbert Edwin Huncke (1915 - 1996) den Maß für eine Hipster-Existenz. Eine Avantgarde brachte er auf den Begriff - Beat. Mit vierzehn lernte er Heroin kennen. Er blieb süchtig bis zu seinem Lebensende. Huncke zog die Spritze auf, die Burroughs zum Junkie machte. Er führte den Novizen in seine „Wohnzimmer“ ein. Das waren Automatencafés an der 42. Straße.  

Hartmann übersetzt auch.

„Im Englischen haben die Sätze eine feinere Melodie.“

Der mit Nicholson verfilmte William-Kennedy-Roman Wolfsmilch (Rowohlt 1986), „sah ihn in Amsterdam, war schlecht,“ verdankt Hartmann seinen deutschen Text, so wie Patti Smiths Lyrik- & Prosaband Babel (Zweitausendeins 1980). „Ganz eigenwillige Geschichten.“ Die äußere Erscheinung der schmächtigen Sängerin gibt von ihrer Energie nichts preis. Gewissen Phänomenen näherte sie sich über die kritische Distanz. Entschlossen, ihrem Limit dauernd nah zu sein, fiel sie schließlich von der Bühne. Sprach sie von ihrem Buch, klang Babel wie Babble.

Diese Beiläufigkeit, mit der Hartmann seine Anteile an prominenter Zeitgeschichte zum Kegelnachmittagrapport absinken läßt. Unter dem Titel „Sex, Drugs, Electricity“ hatte er den Star zuvor für „Sounds“ interviewt. „Ich schickte ihr nochmal Fragen, die sie auf einer Kassette beantwortete, unterwegs in einer Limo von NYC nach Detroit zu ihrem Lover, diesem Ex-MC5-Gitarristen.“ Man hörte das Fahrtgeräusch im Hintergrund der Aufnahme. Als Herausgeber und Autor war er an mehreren Jahrgängen von RockSession (Rowohlt) beteiligt. Da gab’s ne Nummer mit Stüttgen über Beuys und Burroughs über Jajouka.“ Zuletzt übertrug er Pinckney Benedicts Hunde des Herrn (Rowohlt 1995), Darin wird eine Wildschweinjagd mit M 16-Gewehren veranstaltet. Mit seinen von schlanken Fingern gestreckten Händen zeichnet Hartmann den Schießprügel in die Luft, lädt durch und bringt die imaginäre Waffe in Anschlag. Der Vorgang koppelt kurz auflodernde Freude über den einer öden Wirklichkeit abgezwungenen Spiel-Raum der Literatur an einen Hinweis auf Gründlichkeit. Denn der Übersetzer beschaffte sich Gun-Periodika, um einschlägige Vorstellungen zu konkretisieren. „Ich war nicht beim Bund.“

Die transkontinentalen Stränge des Beats führen auf einem Nebengleis von New York nach Darmstadt. Ein paar Jahre war Hartmann auf dem Sprung nach Hamburg. Dann fand er sich in Südhessen ab. Dazu gehört, daß nachts keine Züge gehen und man, früher öfter als heute, im Frankfurter Bahnhofsviertel der Wiederaufnahme des Berufsverkehrs entgegen friert.

Zu denen, die im fahlen Morgen ihre Arbeitsplätze ansteuern, wollte er die längste Zeit nicht gehören. Inzwischen ist die Reserve gegenüber regelmäßigen Gehaltszahlungen kleiner geworden. „Der Tod im Leben“ ist die Nötigung der Selbsterhaltung. „Es war schon mal leichter, Sachen zu machen, die keine Kohle bringen.“ Eines Tages sei er heimgekommen und habe dort unerwartet einen Pornohersteller angetroffen, der sich zur Begrüßung vom Boden hochquälte. Man saß ja auf Kissen. Er machte Hartmann ein Angebot. Ein paar Jahre verdiente der Grafiker die Miete, indem er für den „distinguierten Holländer“ Layouts schuf und dabei allerhand über den Vierfarbdruckprozeß lernte. „Fleischfarben fand ich gut. Ich fuhr zu Schwab Offset in Hanau: eine Halle mit metergroßen, auf Paletten gestapelten Druckbögen voller Genitalien.“ Später war er „eine Weile Lehrbeauftragter“ an der Darmstädter Fachhochschule für Gestaltung, die er vom Studium kannte.

Things gone & things still here -

Die Nacht macht uns zu Freunden. Wir arbeiten beide für die Frankfurter Rundschau. Hartmann hinterlässt Texte für mich in der Redaktion. Er schreibt: Tage zerrinnen zw. d. Händen? ... Sich nie irgendwo eingefickt, verbiegen lassen“. „Top-Dog-Luschen“ vernichtet er in einem Halbsatz. Er schreibt eine „Ode an Jamal“.   

Wir treffen uns wieder und wieder, manchmal zufällig, so wie einmal in der Bar des Mousonturms. Hartmann komplettiert einen illustren Kreis. Außer ihm stehen da Ralf-Rainer Rygulla und Jürgen Ploog. Ploog ist aufs Imposante angelegt. Den amerikanischen Traum des Bill Burroughs träumt er auf deutsch. Hartmann und Rygulla sind britisch Anglophile. Unabhängig von einander, aber fast zeitgleich, haben sie in London das Genre der Little Magazines entdeckt: einem klassischen Verbreitungsmedium voroffizieller Literatur. Es gab eine Reihe von deutschen Adaptionen, und anderem die 1971 von Carl Weissner, Ploog und Jörg Fauser erstmals verlegte Literaturzeitschrift Gasolin 23. Ploogs Zirkelprominenz ist ein unerklärliches Kuriosum. Er kennt alle, alle kennen ihn. Verstreuten Publikationen hat er gerade „die tote zone“ hinzugefügt. Ein Protokoll soll die Story sein. Der Held kann sich hypnopathisch bewegen. Sonnenwinde tragen ihn. Die Drogen im narrativen Spiel werden erst auf Märkten der Zukunft zu haben sein. Biomechanisch manipulierte Wesen nehmen ihre Umgebung mit hydraulischem Radarblick wahr. Gern spannt Ploog Beobachtungen aus der Gegenwart an ein futuristisches Imago. Konkret projiziert er einen mit Suspense-Attributen und Fantasy-Thrill camouflierten Reisebericht auf einen Prospekt zwischen Cyberspace und Karibik. Ploog liefert dem Post-Beat ein Art déco.