Freunde für eine Nacht
Eine Erinnerung an 1997 - Als ich einmal Walter Hartmann nachts auf der Hanauer Landstraße traf
Morgens um eins, die Stadt dunkel erst seit drei Stunden, geht Kötter zu einem Kollegen und lässt mich allein. An einem Tisch vor seiner Küchenkneipe. Ich habe noch ein Getränk, der Mond spielt hinter einer Esse verstecken, kaum Kühle webt sich zur Luft. Gut war auch In the mood vom Glenn Miller’s Orchestra und diese anderen Sachen aus den Vierzigern, du weißt, was ich meine, der Big Band Bar Sound, zu dem Fotografen redeten, während ihre Geländewagen auf dem Asphalt weideten. Eine Kunst & Kohleschiene führt vor Ort, und wer auf dem Trip ist, der spricht leise, mein Freund, und hat eine Assistentin mit 'nem Motorroller. Nun sind alle weg, ich warte auf das Bild, mit dem ich heimgehen kann, eine Ansicht aus der urban-jungle-Kiste, die Gott für mich aufgeklappt hat. Ein Wagen schleicht an, die Scheinwerfer werden ausgeknipst wie Augen geschlossen werden; dieses Blitzartige des Lidfalls mit rauschenden Wimpern. Die Scheibe versinkt im Schlag. Ich erkenne Walter Hartmanns Jim Jarmusch-Kinokopf. „Is´ hier noch was?“
„Siehst du das nicht.“
Er steigt aus, um meine Antwort zu prüfen. Die nächtliche Weitläufigkeit der aufgelassenen Brauerei, die meine Sinne mit Glückskupfer patiniert, hat er überall schon gesehen. Ich deute auf ein Karree aus mächtigen Kastanien, im Teer eingesperrt, der ruhende Schornstein, der darüber wacht. Er hebt die Schultern. Dass Künstler hier arbeiten, ist klar. Ich führe ihn zu einem Haus, das Tag und Nacht offensteht. Wie eine verwehte Fährte, weisen verglühte Teelichte im Treppenhaus (steckengeblieben im Rohbaustadium) auf eine heimliche Vergnügungsavantgarde, die Frankfurter Rückseiten belebt. Einen schnellen Schritt schneller als stets die Kameraden. In einer Halle steht allein ein Barhocker, so’n edles Lederteil mit Lehne. Davor liegen Notenblätter. Verfall arrangiert antike Schrauben und getretene Büchsen auf dem Beton zu einem Ensemble ermatteten Materials.
„Ist das gut?“, frage ich wie ein Gastgeber. Und so fühle ich mich auch. Ich bin ein Gastgeber der Frankfurter Nacht.
„Das ist gut“, sagt Hartmann.
Er muss es wissen. Eine Signatur des literarischen Untergrunds der deutschen 1970er und 1980er Jahre trägt seine Handschrift. Sein Einfluss auf die Szene überliefert ein Raunen. Hartmann will davon nichts hören. Er habe nur seinen Kommentar abgegeben zu einer vorgefundenen Bildsprache. Die Achtung der Gemeinde beschweigt er, immer dazu aufgelegt, andere zu loben.
„Denk an Rygullas (Anthologie amerikanischer Lyrik) Fuck you (1968) mit dem Wahnsinnscover und diesem vollkommen neuen Sound. Das war eine Tat.“