Feministisches Harem
Irgendwo erzählt Clarice Lispector von einem schamlosen Bigamisten. Xavier hat die Macht, sein Milieu für sich einzunehmen. Eine überwältigende, manche sagen diabolische Kraft, die den Mann förmlich aufkochen lässt, reicht aus, ihm einen Dispens vom nachbarschaftlichen Sittenkodex zu verschaffen. Xavier darf, wovon andere nur träumen können.
Xavier versteht den Letzten Tango in Paris falsch. Er erkennt nicht, dass Marlon Brando einen Verzweifelten spielt. Jedenfalls behauptet das die Autorin.
„Er hatte den Film nicht verstanden. Er sah darin einen Sexstreifen. Dass es sich um die Geschichte eines Verzweifelten handelte, darauf kam er nicht.“
Längst hat der Film seine kritische Marke erreicht. Wenn ich das richtig erinnere, leistete Bernardo Bertolucci in dieser Angelegenheit zu spät Abbitte. Keine Lobredner wird heute noch auf seine Würdigungen von damals bestehen. Wikipedia konserviert anachronistische Perspektiven. Dietrich Kuhlbrodt erklärte 1982: „Was Bertolucci mit dem Letzten Tango versucht, das ist die obsessive Annäherung an ein Publikum, das Hollywoodfilme zu sehen gewöhnt ist und auch einen Hollywoodstar zu sehen kriegt … Der Film ist so direkt wie die Adresse der Bilder von Francis Bacon.“
Clarice Lispector, „Aber es wird regnen“, Erzählungen, aus dem brasilianischen Portugiesisch von Luis Ruby, herausgegeben von Benjamin Moser, Penguin Verlag, 281 Seiten, 22,-
Der „Spiegel“ sprach bereits 2016 von „später Empörung“. In dem Artikel wird die Butterszene nacherzählt. Es geht um die nicht abgesprochene Simulation von Analsex. Das Magazin zitiert den Regisseur, der sich 2013 so äußerte: „Ich hatte die Idee mit Marlon, am Morgen vor dem Dreh. Aber ich habe mich in gewisser Hinsicht sehr schlecht gegenüber Maria verhalten, weil ich ihr nicht gesagt habe, was passieren würde. Ich wollte ihre Reaktion als Mädchen, nicht als Schauspielerin“.
„An alle Leute, die diesen Film lieben“, twitterte … die Schauspielerin Jessica Chastain, „Ihr seht Euch an, wie eine 19-Jährige von einem 48 Jahre alten Mann vergewaltigt wird. Der Regisseur hat diese Attacke geplant. Mir ist schlecht.“
Lispector problematisiert das alles nicht. Ihr Xavier trumpft als „wüster und heißblütiger Bigamist“ auf. Seinen Frauen Carmen und Beatriz machen sich gegenseitig zu Zeuginnen einer Liebe ohne Eifersucht. Sie kochen wie im „Großen Fressen“. Die Frauen bilden ein erotisches Team, das auch ohne Xavier auf seine Kosten kommt. Sie ergänzen sich nach den Statuten eines feministischen Harems. Sie bekochen sich und gehen unter Ausschluss ihres Paschas mit sexuellen Absichten zu Bett.