MenuMENU

zurück

2024-07-29 08:39:43, Jamal

„Die alte Freiheitsforderung: Gleiches Recht für alle wurzelt viel mehr in der Verschiedenheit als in der Gleichheit der Menschen.“ Magnus Hirschfeld

*

„Ekstase und Existenz haben die gleiche Wurzel.“ Michel Serres

Der Feind, den du begehrst

Ein Albaner aus Mazedonien studiert in Zagreb Medizin. Er heiratet, wird als Student Vater. Die Ehe scheitert, das Kind nimmt er mit nach Istanbul. Da überfällt Tarek eine Kinderlähmung. Die Katastrophe bringt seine Eltern wieder zusammen, die Familie siedelt auf einer Landzunge im Spessart. Das ist Migrationsalltag: ein Spagat zwischen Wasserlos in Unterfranken und Istanbul am Bosporus. Die Nachbarn kennen so viel Welt aus dem Fernseher.

Tarek ist Arzt. Er spricht von „Impfversagen“, um zu erklären, was er mit sich herumschleppt. Lustvoll beschwört er finstere Details. - Die Freude des Fachmanns am Einfallsreichtum der Krankheiten. Er zitiert den Kollegen Döblin in der Hanau-Steinheimer Vorstadt. Wir sitzen unter einer Pergola vor einem Lokal am Fuß des Kirchturms. Eine Kellnerin fühlt sich von unseren Übertreibungen der hessischen Lebensart auf den Arm genommen. Da gerieren sich welche. Die Wirtin tritt dramatisch an die Pforte ihres Reiches, um uns in Augenschein zu nehmen. Gute Nacht, Europa lese ich in ihren Augen. Ich registriere bei Tarek ein Repertoire, das ich kenne. Man setzt sich die Maske der Bonhomie auf. Tarek fährt einen Maserati Ghibli. Das Coupé besitzt einen enormen Schauwert. Kinder laufen zusammen, wo immer Tarek einparkt. Wir sind uns einmal in Leipzig begegnet, zufällig an einem Messeabend. Ich war mit Lara unterwegs, sie hat in Leipzig studiert und ihren ersten Mann kennengelernt, sie wollte noch in eine Südstadtkneipe von früher. Unterwegs sammelte uns Tarek ein. Lara kroch in einen Hohlraum hinter den Sitzen, ich fühlte mich von Tareks Bedürfnis nach vertrauten Gesichtern überrumpelt. Im Lokal herrschte depressive Heiterkeit. Die Phalanx bestand aus Randale-Veteranen, aufgeschwemmten, hässlich alternden Glatzen. Tarek und ich waren in Gefahr. Lara erkannte das. Ich glaube, sie erwartete, das Ende meiner Arroganz nun live mitzuerleben. Ich war der Westmann, der an sich nie das Vergnügen mit ihr haben sollte. Lara hätte mich nie mit zu ihren Eltern genommen. Sie betrog mit mir ihren Mann. Es gab Arrangements. Lara ging unter Aufsicht fremd. Ich war der Feind, den Lara begehrte. Tarek suchte sofort den Schulterschluss, nie werde ich seine gefasste Entschlossenheit vergessen. Er kreuzte die Arme, ein kleiner Mann, der mit achtzehn schon kahl gewesen war.

Du bist doch eine Ostdame“, sagte die Bedienung zu Lara. „Das kannste gar nicht verleugnen.“

Gekonnt brachte sie ihre Stammgäste gegen uns auf. Die Verehrer spielten Darts, und zwar so, dass ich keine Lust hatte, an ihnen vorbei aufs Klo zu gehen. Sie waren schon angefressen, standen aber noch auf dem Schlauch.

„Mach kein braunes Baby“, bat die Bedienung. „Guck dich um, ist doch alles da und dran an unseren Sachsen. Wozu brauchst du denn die N...?“

Lass uns abrücken“, sagte Tarek. In diesem Augenblick standen wir uns näher als Lara und ich je. Wir waren die N... Jeder Typ, der hier im Unterhemd gut angezogen war, fühlte sich uns mit seiner Volksschule im Kopf überlegen, weil er ein weißer Deutscher war. Einige Weiße wechselten von der Fußmatte vor der Wurfscheibe zum Billardtisch. Sie spitzten die Queues. Ich kannte das Programm. Tarek kannte es auch.