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2024-08-02 12:05:11, Jamal

Der Sprachmeister - Die Kunst der Manifestation

Sprachmeister ist ein historischer Titel. Seit der Berufung des ersten Professors für neue Sprachen an die Landgraf-Philipp-Universität in  der nordhessischen Kleinstadt Ederthal firmiert der Leiter des Germanistischen Seminars in einem klandestinen Ritus als "Sprachmeister". Zu den Insignien seiner Autorität gehören Zeichen und Geräte, die an Freimaurer-Praktiken erinnern. Der Sprachmeister-Kult hat aber einen anderen Ursprung, der im Verlauf des Romans aufgedeckt wird. Der amtierende Sprachmeister heißt Cornelius Blattschneider. Ihm begegnet in der Gestalt der Post-Doc-Stipendiatin Nana von Eisenreich eine Unsterbliche.

The Language Master – The Art of Manifestation

The language master is a historical title. Since the appointment of the first professor for new languages ​​at the Landgraf Philipp University in the small town of Ederthal in northern Hesse, the head of the German department has been known as the "language master" in a clandestine ritual. The insignia of his authority include symbols and devices reminiscent of Masonic practices. The language master cult, however, has a different origin, which is revealed in the course of the novel. The incumbent language master is called Cornelius Blattschneider. He meets an immortal in the form of the post-doc scholarship holder Nana von Eisenreich.

Der gebildete Eros

Das magische Momentum des Menschseins besteht darin, dass ein Mensch ein anderes Lebewesen übernehmen kann, mit einem Blick, einer Geste, einem Wort, einem Geruch, einem Dekolletee. „Verführung ist die wahre Gewalt“, sagt Schiller.

Nana verzehrt ein Post-Doc-Stipendium an einer hessischen, im Mittelalter gegründeten und von bedeutenden Absolventen geadelten Universität. Die Zeit läuft ab zwischen Langeweile und Zerfall. Kein Schimmer vergangener Größe hellt den Betrieb auf. Der pompös-marode Festungsbau ist ein Phantom der Grandiosität. Es gibt einen toten Trakt voller Staubwunder und mumifizierter Mäuse. Ein Garn der Gleichgültigkeit webt dem Klandestin-Labyrinthischen einen Schutzmantel. Nana schlüpft täglich durch ein Knopfloch wie durch ein Fenster der Zeit und erkundet im toten Trakt die Schichten einer versunkenen Welt.  

Nana braucht das Stipendium nicht. Jederzeit könnte sie auf ein kleines Vermögen zugreifen. Die allgemeine Spießigkeit und Unzulänglichkeit der Arbeitswelt bieten sich ihr als poetische Gegenstände an.

Man muss sich Nana als glücklichen Menschen vorstellen.

Nach einem vorhersehbaren Desaster startet sie in einem Anfall subtiler Hemmungslosigkeit den nächsten Versuch. Kaum verhüllt erzählt sie Professor Doktor Cornelius Blattschneider die Geschichte des Tages in einer E-Mail. Cornelius leitet das Germanistische Seminar. Er ist der Sprachmeister. Das entspricht einer historischen Beschreibung seines Arbeitsplatzes. Der erste Professor für neue Sprachen an der Philipps-Universität zu Ederthal trug den Titel Sprachmeister. Cornelius‘ Persönlichkeit passt in keine moderne Erzählung. Wir wollen nicht mit der Tür ins Haus fallen und ihn langsam zu seiner vollen Größe aufsteigen lassen.

Im Augenblick erscheint er für Nana fast noch in der vertrauten Weise erreichbar, insofern er auf ihre Reize herzlich anspricht. Seine Reaktionen verraten Nana, wie attraktiv er sie findet. Nana und Cornelius haben noch nicht lange einen privaten Draht zueinander. Bis vor ein paar Tagen verband sie nicht mehr als Campus-Kommunikation. Doch auch davor verhehlte Cornelius nie seine Begeisterung für die Brillenschlange mit dem großen Busen und dem sinnlichen Wesen. 

Die Verschriftlichung des verpatzten Kleinstadtabenteuers lässt Nana an ihrem Schreibtisch erschauern. Die Schreiblust verschafft ihr den freifraulichen Kick, der im direkten Kontakt mit dem Lektor Tillmann in der Wohnung seiner Oma nur auf dem Umweg einer Manifestation zustande kam. Das war eine Landung mit dem Notfallschirm.

Im Präsens der Pleite

Tillmann hat es geschafft. Er arbeitet bei Suhrkamp in Berlin. Aus der Flut unverlangter Einsendungen spielt ihm eine Praktikantin ein Manuskript zu, mit träumerisch-handschriftlichem Begleitschreiben direkt aus seiner Geburtsstadt. Wer mich groß herausbringt, den werde ich lieben. Ich will schließlich nicht allein im siebten Himmel wohnen. Das steht da nicht. Tillmann liest es aber. Tillmann findet den Brief verheißungsvoll. Die gemalten Buchstaben machen ihn heiß; er hält eine Pheromone-Bombe in Händen. Damit zieht er sich auf die Toilette zurück. Zwei Wochen später legt Nana persönlich Hand an. Schauplatz der Plötzlichkeit, von Tillmann falsch als Vollzug ohne Vorrede gedeutet, ist die modrig-vernachlässigte großmütterliche Bleibe mit der unvermeidlichen Plastiktischdecke auf dem Küchentisch. Der Mief aus Alter und Armut bildet in der Dunkelbude eine eigene Emission. Tillmann hat die Witwe in der Nachbarschaft untergebracht. Er fühlt sich erhaben, schließlich weiß er besser als die meisten wie lost man in Ederthal ist. Er hat es in Berlin geschafft. Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass für Nana die Inszenierung an erster Stelle steht. In ihren Augen ist Tillmann gleichermaßen Mitspieler und Zuschauer.

Plötzlich kollabiert die Spielanordnung.  

Es gibt Konstellationen, in denen Nana die Regie an einen imaginären Master of Manifestation abgibt. Manchmal nennt sie ihn auch Mentor. Er heißt Cecil Coogan, kurz CC. Nana möchte für ihren Mentor das sein, was er für sie ist, nämlich ein Garant für endloses Vergnügen, einen einfachen Alltag, genug Geld, leicht erworbenem Status und der Aussicht auf eine dauerhafte Verschiebung der Wahrnehmungsgrenzen. CC gibt Nana das Gefühl, sie könne im Weltraum existieren. Sicher nicht ohne Hilfsmittel. Da zu sein, wo die Sterne sind ... es kommt zu einem außerfahrplanmäßigen Geschlechtsverkehr. So etwas wie ein Out-of-the-Box-Stopp.