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2024-08-03 08:01:33, Jamal

Der Sprachmeister - Die Kunst der Manifestation

Sprachmeister ist ein historischer Titel. Seit der Berufung des ersten Professors für neue Sprachen an die Landgraf-Philipp-Universität in  der nordhessischen Kleinstadt Ederthal firmiert der Leiter des Germanistischen Seminars in einem klandestinen Ritus als "Sprachmeister". Zu den Insignien seiner Autorität gehören Zeichen und Geräte, die an Freimaurer-Praktiken erinnern. Der Sprachmeister-Kult hat aber einen anderen Ursprung, der im Verlauf des Romans aufgedeckt wird. Der amtierende Sprachmeister heißt Cornelius Blattschneider. Ihm begegnet in der Gestalt der Post-Doc-Stipendiatin Nana von Eisenreich eine Unsterbliche.

The Language Master – The Art of Manifestation

The language master is a historical title. Since the appointment of the first professor for new languages ​​at the Landgraf Philipp University in the small town of Ederthal in northern Hesse, the head of the German department has been known as the "language master" in a clandestine ritual. The insignia of his authority include symbols and devices reminiscent of Masonic practices. The language master cult, however, has a different origin, which is revealed in the course of the novel. The incumbent language master is called Cornelius Blattschneider. He meets an immortal in the form of the post-doc scholarship holder Nana von Eisenreich.

Schmerztau

Nana sitzt an ihrem Institutsschreibtisch. Vor dem Fenster prunken drei Eichen nicht zuletzt als Evokationsgaranten druidischer Phantasien. Den Bäumen sagt man ein sagenhaftes Alter nach. Manchmal begibt sich Nana nachts in ihren Bannkreis und liefert sich magischen Heimsuchungen aus. Sie schmiegt sich an eine Eiche, sich ihr verwandter fühlend als jedem Menschen. Die mythische Dimension ihrer Existenz offenbart sich Nana im Wispern der Elemente. Sie ist nicht ganz von dieser Welt. Etwas Unheimliches belauert sie, so fühlt es Nana, seit Jahrhunderten. Manchmal ist ihr, als sei sie aus niederhessischer Erde gemacht; als sei sie ein Koboldwesen, die Spielfigur eines Fürsten der Geisterwelt. Und dann ist sie wieder die Fürstin selbst oder auch nur eine Verirrte im heimatlichen Urwald; eine Gretel ohne leidensgenossenschaftlichen Zuspruch, der ein stummer Köhler zärtlich beiwohnt. Nana-Gretel wundert sich, wie viel Lust der Elende auszulösen vermag. Doch dann entpuppt er sich als geächteter Prinz, der sich vor seinen Brüdern verbergen muss. Nana-Gretel verspricht ihm Unterstützung. Zum Dank erkennt er sie gleich noch einmal und sie fühlt sich schon wie eine Königin. 

Männer machen es Nana leicht und schwer zugleich. Sie ist ein totsicherer Leim. Wildfremde bestürmen sie mit Heiratsanträgen und sind sich ganz sicher, dass Nana die Richtige sei. Das sind Verlorene; Leute, die sich in ihrem eigenen Leben verirrt haben. Ihre Bereitschaft, sich an einem toten Punkt zu verausgaben, schreddert Nanas Weltvertrauen. Ihre Zurückweisungen entbehren mitunter der Konsequenz. Manchmal kostet sie noch zwei, drei Mal den Rahm einer verzweifelten Leidenschaft. Wie eine Katze, so denkt sie sich selbst, leckt sie den Schmerztau. Sie erntet, was sie gesät hat, zwar ohne Skrupel, aber doch erschüttert. Wenn andere sich so offensichtlich irren können, wie sicher darf sie sich dann sein. Sie schickt einen Mann weg, dem sie eben noch Unerhörtes erlaubt hat, und fragt sich, warum er sich jetzt nicht erschießt oder aufhängt. Diana weiß, der Abgewiesene wird sich in einer Kneipe zulaufen lassen. Ederthal ist berühmt für seine urigen Studentenpinten. Die ältesten Klosprüche Deutschlands findet man da. Es gibt einen Ederthaler Kneipenführer auf Japanisch. 

Nana trägt eine Robe à la française aus schwarzviolettem Atlas - mit Watteau-Falten, die das Rokoko zitieren. Das Gewand war in seiner ursprünglichsten Gestalt ein Déshabillé, ein Gegenstand häuslicher Vexierspiele, und wirkt nun als textiles Zeichen für jene, denen Raffinesse unentbehrlich ist. Einst gestattete es der Frau, sich uneingeschnürt zu zeigen. Jeder einschlägige Fetischist erkennt den frivolen Charakter, das Anspielungsreiche. So ein Kleid besitzt den Signalcharakter eines Kropfbandes mit gewissen Applikationen. Es funktioniert wie ein Lackmustest. Wer adäquat darauf reagiert, bringt bestimmte Eigenschaften mit. Der weite Horizont seiner Erwartungen verspricht ein helles Vergnügen, eine erotische Heiterkeit.