“I realized there are many techniques that we cannot do when we get old. But I also found that there are techniques that we can do only when we are aged.” Hirokazu Kanazawa
Der Sprachmeister - Die Kunst der Manifestation
Sprachmeister ist ein historischer Titel. Seit der Berufung des ersten Professors für neue Sprachen an die Landgraf-Philipp-Universität in der nordhessischen Kleinstadt Ederthal firmiert der Leiter des Germanistischen Seminars in einem klandestinen Ritus als "Sprachmeister". Zu den Insignien seiner Autorität gehören Zeichen und Geräte, die an Freimaurer-Praktiken erinnern. Der Sprachmeister-Kult hat aber einen anderen Ursprung, der im Verlauf des Romans aufgedeckt wird. Der amtierende Sprachmeister heißt Cornelius Blattschneider. Ihm begegnet in der Gestalt der Post-Doc-Stipendiatin Nana von Eisenreich eine Unsterbliche.
The Language Master – The Art of Manifestation
The language master is a historical title. Since the appointment of the first professor for new languages at the Landgraf Philipp University in the small town of Ederthal in northern Hesse, the head of the German department has been known as the "language master" in a clandestine ritual. The insignia of his authority include symbols and devices reminiscent of Masonic practices. The language master cult, however, has a different origin, which is revealed in the course of the novel. The incumbent language master is called Cornelius Blattschneider. He meets an immortal in the form of the post-doc scholarship holder Nana von Eisenreich.
Die Heimspiele hessischer Herzdamen
„Ich möchte nur noch für die Ekstase leben. Die kleine Dosis, die gemäßigte Liebe, die Halbschatten lassen mich kalt. Ich liebe das Außerordentliche, Briefe, dass der Postbote davon einen steifen Rücken bekommt ... Sexualität, dass die Thermometer bersten." Anaïs Nin
1960 setzte der Korbacher Fuhrunternehmer Anton Schlosser eine Halle auf eine Wiese neben Felder in der Umgebung von Ederthal. In dem wie ein Aussiedlerhof freistehenden Behelfsbau produzierte Schlosser Holzabsätze. Schlosser beschäftigte Leute, die bis dahin in einem entlegenen Winkel der jungen Republik an der Armutsgrenze existiert hatten. Sie kamen aus Familien, die Elend gewöhnt waren und ihr Tagelöhner- und Erntehelferdasein schicksalhaft begriffen. Zu den angestammten Parias gesellten sich Entwurzelte aus den verlorenen Ostgebieten eines zerschlagenen Reiches und bildeten eine archaische Außenseitergesellschaft. Sie brannten Schnaps und keltern Wein aus Äpfeln. Sie wilderten mit Fallen in dem wurzelechten Hochmoor der Klingenbacher Aue. Die Verluste des Moors sind Gewinne des Klingenbachs, der nach einer Verschwisterung mit der Schmalsau zur Fulda entwässert.
Kein Name, der nicht Geschichte transportiert. Klingenbach ist ein Landschaftsbegriff und der Name einer Burg. Ein ruiniertes Kolossal des 12. Jahrhunderts und ein Tal, das die Eder in Schiefer schnitt, heißen so. Lale Schlosser, eine Enkelin des Gründervaters Anton, beobachtet Uferschnepfen, Waldwasserläufer und Grauwürger auf einem Beet voll Sonnentau und Schwarzer Krähenbeere. Jahrhunderte bot sich die Gegend zur Sichtung von Wildkatzen an. Im Mittelalter scheiterte Versuche agrarischer Nutzung.
Die Aue gibt einer Sehnsucht das Recht und die Ruhe, die Welt so zu erfahren, als sei sie neu. Eine pietistische Täuferbewegung nahm von da ihren Weg nach Amerika. Ein Fadenmolch zeigt sich. Lale bemerkt Nana bei einer gymnastischen Andacht. Wie sehen zwei hessische Herzdamen in lauter Heimspielen.
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Am Hof Ludwig XVI. verstand man das Geschäft des Speichelleckers als Lehrberuf. Unterwürfigkeit spielte mit Gelenkigkeit zusammen in Allianzen, die Heutigen zwar nichts mehr sagen, den Damaligen aber bis zur Gleichgültigkeit geläufig waren und natürlich erschienen - da sie soziale Stoffwechselfunktionen erfüllten. Als dann der Hof weggefegt wurde, ergaben sich für seine Milieus oft nur Rinnsteinlösungen, wenigstens im Vergleich mit einem beim Sonnenkönig akkreditierten Speichellecker.
Wer zum Fintieren erzogen worden war, konnte sich als Spieler und Rummelplatzfechter durchbringen. Dealer ging auch, zu einer Zeit, als Drogen in allen Boutiquen der Anschauungen rasend gepriesene Gebrauchsgegenstände waren. Professor Cornelius Blattschneider rückt den Alkohol in einen universellen Rahmen. Der Wein habe „Europa stärker verändert als das Gewehr“. Er vermutet, dass die verflossenen Jahrtausende Wirkungen des Weins schwächten. Er erinnert an Weinfeste der Götter, die wie Kokainorgien über den Horizont gingen. Cornelius betrachtet den gelinden Rausch als kultivierendes Moos auf den Findlingen der Gewalt, die zu Völkern und Staaten führen. Er stellt Wein als eine Sache hin, die Eroberungszüge überdauert. In seinem Büro trinkt er Rheingauer Riesling aus einem Bierhumpen.
Cornelius ist der Sprachmeister. Er leitet das Germanistische Seminar der Philipps-Universität zu Ederthal. Seine intellektuelle und physische Attraktivität wirkt mitunter wie eine atmosphärische Störung.
Cornelius holt aus, während er Maß nimmt. Vor ihm sitzt Lale, nicht nur vom Riesling erhitzt. Der Sprachmeister nagelt sie mit seinem Blick auf dem Stuhl fest. Er hat hier die absolute Lufthoheit. Er ist jetzt bei dem Migrantenmilieu zur Zeit der Französischen Revolution in Paris. Hatte man sich zu etwas hinreißen lassen, verschwand man auf sechs Wochen und kroch dann wieder zum Vorschein, um weiter zu poussieren mit adligen Randerscheinungen des Hofes. Ihnen war beigebracht worden bei jedem Wetter zu tirilieren. Um die Beute bemühten sich Aufgeklärte aus Deutschland und der Schweiz, Flüchtlinge, Spione, Journalisten. Während der Hof schlief. Die Kronzeuginnen in den Betten der Konspiration hätten den letzten Ludwig besser als jede Geheimpolizei informieren können.
Bis zur Revolution hatten nur Schranzen das königliche Privileg zur Führung eines Freudenhauses erhalten. Damit sollte dann Schluss sein, trotzdem betrieben und besuchten diese Orte dieselben Leute wie zuvor. Damit befasste sich denn auch der aus Ederthal gebürtige Schriftsteller Heinrich Stahlheim wochenlang. Er stiefelte durch Akademien der Liederlichkeit und berichtete von charmanten Compagnien mit Gefallenen aus der derangierten Oberschicht. Für einen Louisdor konnte man die Nacht durchtanzen und sein Elend vergessen. Parolen und Klopfzeichen dichteten das Geschehen gegen die Revolutionswächter ab. In den Verließen des Vergnügens kursierten noch die Titel des Ancien Régime. Gräfinnen trieben die Kuppelei so weit, dass sie ihre Töchter anboten. Stahlheim fand die entmachtete Aristokratie haltlos und ohne Würde. Dass sie so schlapp und verworfen die Revolution einfach überleben würde, um bei der nächsten Restauration förmlich wieder aufzuerstehen, überstieg das Vorstellungsvermögen des Chronisten.